Dreifache Opfer

Gewalt gegen Migranten in Libyen geht von der Regierung, den Milizen und Menschenhändlern aus

  • Mirco Keilberth, Tunis
  • Lesedauer: 4 Min.

Mehr als 4000 Menschen aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara waren im vergangenen Oktober von Sicherheitskräften entführt worden, eine unbekannte Zahl von ihnen wird in privaten Gefängnissen, sogenannten Ghettos, gefangen gehalten. Die libyschen Behörden halten 600 mehrheitlich aus Westafrika stammende Gefangene in einer Lagerhalle im Stadtteil Ain Zara fest. Aufgrund der schlechten hygienischen Verhältnisse, Unterernährung und der offenbar täglichen Misshandlungen durch das Wachpersonal sind mehrere Gefangene in den Hungerstreik getreten. »Wir fordern unsere Evakuierung aus Libyen. Kurzfristig aber zumindest die Hilfe von IOM oder UNHCR«, so ein Sprecher der Gruppe »Refugees in Libya«, die über soziale Netzwerke auf die verzweifelte Lage der über 30.000 illegal in Libyen lebenden Menschen aufmerksam macht.

Mitarbeiter der beiden humanitären Organisationen der Vereinten Nationen ließen sich seit dem Sturm auf den Stadteil Gargaresch kaum noch blicken, beklagen die Opfer, mit denen »nd« sprach. Ihr Straßencamp rund um die Mauern eines Verteilungszentrum des UNHCR war vor zwei Wochen das letzte Ziel der Milizen. Über Nacht zerstörten vermummte Bewaffnete die Zelte von Familien, Schwangeren und Verletzten.

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Mit Milizen und Mafia gegen Migranten

Die Grenzen zwischen offiziellen Regierungseinheiten und Schmugglern sind fließend. Mohammad Al-Khoja, der neue Chef des Direktorats zum Kampf gegen Illegale Migration (DCIM), inspizierte die Zerstörung der Zeltstadt der Migranten persönlich. Der ehemalige Milizenführer Al-Khoja war am 23. Dezember zum Leiter der staatlichen Behörde gegen illegale Migration befördert worden, zuvor jedoch für mehrere privat betriebene Internierungslager verantwortlich.

Al-Khoja könne seine Erfahrung als Leiter des berüchtigten Gefängnisses »Trik Al-Sikka« in seinen neuen Aufgabenbereich sicher gewinnbringend einbringen, sagt Mohammed aus der sudanesischen Hauptstadt Khartum am Telefon. Der 25-Jährige ist selbst Geflüchteter, versteckt sich vor libyschen Milizionären in einer angemieteten Wohnung in Ain Zara. In der Gegend erinnern ausgebrannte Stofffetzen und Müll auf den Bürgersteigen daran, dass im Januar noch Tausende auf den Straßen bei Minusgraden in Zelten und auf Wolldecken campierten. Bis die Miliz »Ritter von Janzour« mit gepanzerten Fahrzeugen und Pick-ups die im Süden von Tripolis gelegene Gegend absperrten. »Sie sind weiterhin auf der Suche nach Schwarzen«, sagt Mohammed.

UNHCR kritisiert libysches Vorgehen

Caroline Gluck vom Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Tripolis verurteilte die gewaltsamen Aktionen gegen die Flüchtlinge und Migranten scharf. Libysche Menschenrechtsaktivisten berichten zudem, dass Menschenhändler aus den Reihen der Migranten lokale Aktivisten immer wieder davon abgehalten hätten, Schwangeren, Verletzten oder Kindern zu helfen. UNHCR-Mitarbeitende haben ein Gefängnis im Stadtteil Ain Zara mit mehr als 600 inhaftierten Migranten seit dem 10. Januar mehrmals inspiziert. Wegen der Gewalt der Wachen und den schlechten hygienischen Verhältnissen sind dort mehrere Inhaftierte in den Hungerstreik getreten. Auch ihnen drohen die mitinhaftierten Mittelsmänner, die ebenfalls aus Ländern südlich der Sahara stammen.

»Sie wollen nicht, dass ihre Kunden Details über das Schmuggelnetzwerk ausplaudern, das von Lagos oder Khartum bis Sizilien mit lokalen Milizen, Banken und Bootsbesitzern bestens vernetzt ist«, vermutet ein Aktivist aus Tripolis. Hinter den nächtlichen Räumungen und Verhaftungen der libyschen Sicherheitskräfte vermuten »Refugees in Libya« ein simples Geschäft der Milizenführer. Gegen die Zahlung von umgerechnet 500 Euro kommen die Gefangenen meist wieder frei. 31.000 Menschen hat die libysche Küstenwache im vergangenen Jahr auf dem Mittelmeer gerettet und in die Häfen von Tripolis, Misrata oder Zauwia gebracht, mehr als drei Mal so viel wie im Vorjahr. »Wir sind mittlerweile die wichtigste Einnahmequelle der Milizen«, sagt Mohammed aus seinem Versteck am Telefon. Nun hofft er auf Geld von der Familie in Khartum, um im Frühjahr einen Platz auf einem Boot nach Italien ergattern zu können.

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