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Demokratische Selbsthilfe

Die Organisation Lancaster Stands Up lehnt sich in Pennsylvania gegen den rechten Mainstream auf

  • Stefan Liebich
  • Lesedauer: 9 Min.

Lancaster trägt den schönen Beinamen »Red Rose City«. Der bezieht sich nicht auf das Symbol der Demokratischen Sozialisten von Amerika (DSA), sondern auf das Wappen des Herzogs von Lancaster in England. Überhaupt erinnern die Straßennamen mit all ihren Prinzen, Herzögen und Königinnen an das alte Mutterland, von dem sich die Siedlerinnen und Siedler in der Amerikanischen Revolution lösten. Die Stadt in Pennsylvania ist stolz darauf, während dieser Zeit im 18. Jahrhundert für einen Tag Hauptstadt gewesen zu sein, aber »das waren viele«, erzählt lachend eine langjährige Einwohnerin der Stadt. »Auch George Washington soll hier geschlafen haben«, ergänzt ihr Mann, aber das musste der General ja auch irgendwo bei der Flucht des Kontinentalkongresses von Philadelphia vor der Armee des britischen Königs. Gerade erst ist mein Zug in den renovierten Bahnhof der Provinzstadt eingefahren, drei Stunden dauert die Fahrt von New York City, und eigentlich bin ich nicht wegen Geschichtsstunden hier, sondern wegen der Kämpfe der Gegenwart.

In der Stadt gibt es nämlich eine bemerkenswerte Bewegung, die sich gegen den konservativen Mainstream in Pennsylvania stellt. Die Organisation Lancaster Stands Up ist nach dem Wahlsieg von Donald Trump 2016 entstanden, um zu zeigen, dass es auch Menschen gibt, die mit seiner rüden Programmatik nicht einverstanden sind. Eliza Booth und Suzy Wurtz engagieren sich in der Organisation. Ich treffe sie zum Mittag im »Ironhill«, einem typischen Lokal am Stadtrand, bei Coke und French Fries.

Eliza Booth erzählt, wie sie nach der Wahl von Donald Trump verzweifelt war und Beistand bei Gleichgesinnten suchte. Nur in Lancaster, wo rund 70 000 Menschen leben, konnten die Demokraten die meisten Stimmen erringen, im gleichnamigen Landkreis dominierten dagegen die Republikaner. »Ich brauchte einfach einen Ort, an dem ich meine Gefühle rauslassen konnte und hörte von diesem Treffen. Denn ich fühlte mich hoffnungslos und allein und wollte sogar aus diesem Land wegziehen.« Die schwarze Frau lebt seit 22 Jahren in der Stadt. Die Wahl war ein Tiefpunkt für sie. Vielleicht würden 20, 30 Leute zu einem ersten Treffen von Lancaster Stands Up zwei Wochen nach der Wahl kommen, dachte sie. Aber es waren 300. »Viele Menschen waren erleichtert, dass sie nicht allein waren. Es gab aber auch einige, die weinten, weil sie nicht glauben konnten, dass unser Land diesen Mann gewählt hat. Doch es überwog Hoffnung. Die Leute, die das Treffen organisierten, sagten: ›Wenn wir uns zusammentun, können wir etwas tun, um unsere Nachbarschaft, unsere Viertel, unsere Kinder, unsere Gemeinschaft zu schützen.‹«

Suzy Wurtz lebt nicht in der Stadt Lancaster, sondern in Ephrata, einer Kleinstadt im Norden des Landkreises, und ist mit ihrem Auto eine halbe Stunde zu unserer Verabredung gefahren. Northern End heißt die Gegend und befindet sich fest in republikanischer Hand. Suzy Wurz erzählt, dass auch sie aus einer konservativen christlichen Familie stamme und selbst bei den Republikanern erfasst gewesen sei. Die Registrierung als Demokrat, Republikaner oder Unabhängiger hat eine andere Bedeutung als Parteimitgliedschaften in Deutschland. Nahezu jeder US-Bürger gibt das an. »Als die Wahl 2016 nahte, habe ich die Partei gewechselt, weil ich nicht für Trump stimmen wollte«, sagt sie. »Ich wusste zwar, dass Hillary Clinton mich oder Leute wie mich nicht repräsentierte, aber ich war mit den Republikanern fertig. Also habe ich für Hillary gestimmt.«

Zu der Zeit lebte sie mit ihren Kindern in einer Obdachlosenunterkunft und arbeitete rund um die Uhr, um finanziell wieder auf die Beine zu kommen. Sie fühlte sich wie Eliza Booth isoliert. »Ich dachte, ich sei die einzige Person in dieser Gegend, die an Gleichheit und soziale Gerechtigkeit glaubte. Aber Lancaster Stands Up kam zu uns«, erzählt sie. Die Organisation lud zu einer Veranstaltung in Ephrata ein, sie ging hin und wurde Mitglied. »Viel Zeit, mich zu organisieren, hatte ich zunächst nicht, ich musste ja arbeiten.« Aber Suzy Wurz wollte das, was Lancaster Stands Up macht, auch in ihrer Gegend unterstützen. »Wir haben eine lokale Gruppe Northern End Stands Up aufgebaut. Für die arbeite ich jetzt sogar beruflich, auch wenn das gar nicht mein Plan war.«

»Wir wollten dich, weil du aus Ephrata kommst«, erklärt Eliza Booth. »Es sollte nicht jemand aus der Stadt zu euch kommen.« Sie erzählt über ihre ersten Aktivitäten: »Wir haben uns darum gekümmert, die Polizei besser zu kontrollieren. Dann haben Menschen ihren Job wegen Covid verloren und konnten ihre Rechnungen nicht bezahlen. Unsere Lokalregierung hat ihnen den Strom abgestellt. Also haben wir organisiert, dass der Strom weiterläuft. Jetzt arbeiten wir daran, uns gegen die rechtsextreme Übernahme unserer Schulgremien zu wehren.«

Lancaster Stands Up finanziert sich und ihre drei Angestellten vor allem durch die Beiträge ihrer inzwischen 450 Mitglieder sowie durch Spenden. Aber die Beiträge sind das Entscheidende. Zu oft werden Organisationen gegründet und verschwinden schnell wieder, weil sie von einmaligen Spenden abhängig sind. Lancaster Stands Up hingegen will langfristig arbeiten.

In einer lokalen Zeitung habe ich einen Bericht über ein Gespräch mit Eliza Booth gelesen, das wie ein Verhör gewirkt hat. Ich habe sie darauf angesprochen. »Ja, so war es, antwortet sie. «Die fragten mich: ›Seid ihr Sozialisten?‹ Ich sagte nur: ›Beruhigen Sie sich.‹ Das bin ich zwar persönlich, aber ich muss mir gut überlegen, was ich den Leuten erzähle.» Die Antwort überrascht mich. Schließlich gab es ja die Kampagnen von Bernie Sanders und einen Mitgliederboom der DSA. Aber Suzy Wurz sagt: «Das ist hier nicht New York City. Wo ich herkomme, erschrecken die Leute, wenn jemand sagt, er sei Demokrat, und wollen nicht ihm sprechen.»

«Hier gibt es viele, für die nur ein Thema entscheidend ist: Das ist Abtreibung», ergänzt Eliza Booth. «Und wenn der Kandidat nicht »Pro Life« ist, dann ist ihnen alles andere egal.» Pro Life, für das Leben, so nennen sich hier jene, die das Selbstbestimmungsrecht von Frauen über ihren Körper negieren. «Sie wollen einen Mindestlohn von 15 Dollar, sind für eine bessere Gesundheitsversorgung und fragen dann: ›Wie stehen Sie zur Abtreibung?‹ Natürlich lügen wir nicht, sondern sagen, dass wir für das Recht der Frauen sind, darüber selbst zu entscheiden. Die Reaktion ist dann: ›Ach wissen Sie, wir wollen keine Babys töten.‹ Das ist wirklich traurig», sagt Eliza Booth. «Der christliche Nationalismus hat in den letzten zwei Jahrzehnten das ländliche Amerika komplett übernommen», spitzt Suzy Wurtz zu. «Positionen, die da nicht reinpassen, halten sie hier für böse.»

Das Bekenntnis zu Lancaster Stands Up war für Suzy Wurtz ein tiefgreifender Einschnitt in ihrem Leben. Fast alle Freundinnen und Freunde haben sich von ihr losgesagt. «Wenn du Demokratin wirst, entsagst du Gott, denken sie. Eine Freundschaft aus dieser Zeit hat noch Bestand. Alle haben Trump unterstützt und fingen an, diese wirklich verrückten Verschwörungstheorien zu glauben. Ich glaube eigentlich fest daran, dass man Menschen eine zweite Chance geben sollte. Aber wenn jemand Dinge sagt, wie ›Die Demokraten essen Babys‹, dann weiß ich nicht mehr, was ich damit anfangen soll».

Dieser Wahnsinn, den Suzy Wurtz anspricht, hat in den USA weit um sich gegriffen. Sie bezieht sich auf eine Verschwörungserzählung der rechtsextremen QAnon-Gruppe, die besagt, dass eine einflussreiche, weltweit agierende satanistische Elite Kinder entführt, foltert und ermordet, um aus ihrem Blut ein Verjüngungsserum zu gewinnen. Nur Donald Trump würde diese Leute bekämpfen. Mit Marjorie Taylor Greene und Lauren Boebert gibt es inzwischen sogar republikanische Abgeordnete im Kongress, die solche Ansichten vertreten. Dutzende weitere kandidieren für die Wahlen im November.

Wenn die staatliche Infrastruktur wie Bildung und Gesundheitsversorgung nicht mehr funktioniere, ist die Beobachtung der beiden Frauen, wenn es keine ausreichenden psychischen Betreuungsangebote mehr gebe, dann werde die Religion für die Menschen immer wichtiger. Als weiteren Grund für den Trump’schen Mainstream machen sie das Aufblühen einer rechten Medienlandschaft aus. «Früher hatten wir Fox News und Rush Limbaugh, das war schlimm genug», sagt Suzy Wurtz. «Aber jetzt gibt es American News, Newsmax, Alex Jones und all so etwas. Es ist eine regelrechte Industrie, die Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin, einer Gehirnwäsche unterzogen hat.»

Dagegen kämpft Lancester Stands Up an. Auch wenn das für eine junge Bewegung während der Pandemie schwierig ist. Eliza Booth erzählt, dass die Organisation anfangs nicht wusste, wie sie auf die Einschränkungen reagieren sollte. Ihr Büro in der Stadt haben sie geschlossen und keine Veranstaltungen mehr organisiert. Dafür haben sie vor einer Weile damit begonnen, direkte Nachbarschaftshilfe zu leisten. «Wir haben einfach alle unsere Mitglieder angerufen, um zu hören, wie es ihnen geht. Wir haben gegen die Einsamkeit virtuelle Spieleabende veranstaltet, haben Transporte für Bedürftige organisiert, denn öffentlichen Nahverkehr gibt es kaum. Erst jetzt fangen wir langsam wieder an, uns persönlich zu treffen.

Auf die Demokratische Partei sind die beiden Frauen nicht gut zu sprechen. Sie haben nicht vergessen, wie unfair sie Bernie Sanders behandelt hat. Eliza Booth hat damals aus Wut sogar ihre Registrierung in »unabhängig« geändert, kehrte aber später wieder zurück, weil das Wahlsystem in Pennsylvania ihr sonst die Teilnahme an den Vorwahlen der Demokraten verwehrt hätte. Und Einfluss auf die in der Stadtpolitik dominierende Partei wollte sie schon nehmen.

Bei den Wahlen zum US-Kongress im Jahr 2018 haben sie die linke Demokratin Jess King gegen Amtsinhaber Lloyd Smucker aufgestellt. Sie errang einen Achtungserfolg. Mit 41 zu 59 Prozent der Stimmen kamen die Demokraten so nah wie lange nicht an die Republikaner heran. »Weil sie mit ihren Idealen antrat«, sagt Eliza Booth. Jess King war eine von ihnen - Mitglied von Lancaster Stands Up, bereits beim ersten Treffen dabei. »Auch wenn wir verloren haben, aus diesem bemerkenswerten Ergebnis haben wir Kraft geschöpft. Oh mein Gott, wir haben so viele neue Freiwillige und begeisterte Leute bekommen, darauf konnten wir aufbauen.«

Noch immer setzt sie Hoffnung in jene, die unzufrieden sind. »Viele sagen erst: ›Wir wollen nichts mehr mit der Politik zu tun haben, beide Parteien sind gleich schlimm.‹ Aber sie sind erreichbar! Schließlich ist es uns gelungen, die Wahlbeteiligung zu erhöhen.« Als ich das Aufnahmegerät bereits ausgeschaltet habe, sagt Suzy Wurtz noch einen bemerkenswerten Satz: »Einige, die 2016 noch für Trump gestimmt haben, sind heute bei uns und helfen uns mit Anrufen, um weiter Unterstützung für Lancaster Stands Up zu gewinnen.«

Nach dem Essen fahren mich die beiden Frauen zu ihrem Büro in der Innenstadt, um Fotos zu machen. Als ich mir die Bilder am kommenden Tag im Zug zurück nach New York anschaue und all ihren Optimismus sehe, wird mir klar: Ihr Kampf ist noch lange nicht vorbei.

Der ehemalige Linke-Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich ist Fellow der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York City.

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