System Change Camp: »Kriege befeuern die Klimakrise«

Auf dem diesjährigen System Change Camp sprechen Klimaaktivisten über Antiimperialismus und die Vernetzung mit der Friedensbewegung

System Change Camp 2022 in Hamburg Altona.
System Change Camp 2022 in Hamburg Altona.

Das diesjährige System Change Camp findet unter dem Motto »Geschichte ist machbar – System Change auch«. Eine Anspielung auf das Buch von Rudi Dutschke?

Blessing: Einerseits ziehen wir damit natürlich den Hut vor der 68er-Bewegung und wollen Menschen einladen, die sich damit verbunden fühlen – generationenübergreifend. Gleichzeitig ist »Geschichte ist machbar« auch ein geflügeltes Wort, und wir haben den Satz mit dem Zusatz »System Change auch« verändert – es geht auf dem Camp um viel mehr, als Ideen der 68er wieder aufleben zu lassen.

Interview

Sebastian Blessing (29) setzt sich seit zehn Jahren für eine Gesellschaft ein, die Menschenwürde über Profitinteressen setzt.

Paula Fuchs (22) kommt aus der Klimagerechtigkeitsbewegung und ist seit diesem Jahr in der Organisation vom System Change Camp beteiligt. Das System Change Camp findet vom 14.8. bis zum 16.8. in Frankfurt a.M. statt.

Dutschkes Buch ist auch eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der Student*innenbewegung. Wie viel Selbstkritik kann man auf dem System Change Camp erwarten?

Fuchs: Wir wollen dieses Jahr auch in die Geschichte von Bewegungen blicken und daraus Perspektiven für die Zukunft entwickeln. Wenn es darum geht, aus Geschichte zu lernen, heißt das nicht nur zu sehen, was gut gelaufen ist, sondern auch zu erkennen, woran bestimmte Kämpfe gescheitert sind. Wir wollen unsere Bewegungsvergangenheit nicht glorifizieren, sondern auch schauen, wie wir Dinge heute besser machen können. Das ist ein wichtiger Teil des Camps.
Blessing: Was die konkrete Aufarbeitung möglicher Fehler der Klimagerechtigkeitsbewegung angeht, wollen wir uns als Organisierende des Camps aber nicht einmischen. Unser Ziel ist, den Austauschraum zu schaffen und Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen. Der Rest liegt an den Teilnehmenden. Dieses Jahr haben wir noch mehr darauf geachtet, Dinge zu kollektivieren: Aufbau und Abbau sind offiziell Teil des Programms. Das System Change Camp ist eben kein Festival, auf das man geht, um zu konsumieren.

Klimacamps sind ein wichtiger Teil der Geschichte der modernen Klimagerechtigkeitsbewegung ab den 2010er-Jahren – vielleicht sogar ihr Ausgangspunkt. Welche Rolle spielt das System Change Camp derzeit in der Bewegung?

Fuchs: Ich will auf diese Frage mit meiner persönlichen Geschichte antworten: Vor zwei Jahren war ich zum ersten Mal auf dem System Change Camp. Ich war neu in der Klimagerechtigkeitsbewegung und ergriffen davon, so viele Menschen an einem Ort zu sehen, die allesamt versuchen, im Kleinen einen Entwurf einer anderen Gesellschaft umzusetzen. Hier werden Bedürfnisse erfüllt, ohne Gegenleistungen zu erwarten. Und wenn meine eigene Politgruppe vielleicht damit zu kämpfen hat, genügend Leute zusammenzubekommen, um das nächste Projekt voranzutreiben, sieht man während des Camps: Wir sind viele. Überall gibt es stabile Gruppen, die für Veränderungen kämpfen. Mit dieser hoffnungsvollen Erfahrung bin ich nach Hause gefahren, voller Energie, um in meinem Alltag weiterzumachen. Viele Menschen erleben ähnliches: Das System Change Camp gibt Hoffnung und Kraft für das ganze Jahr – auch wenn man nicht ständig zu Tausenden unterwegs ist.

Geschichte ist auch immer eine Perspektive jener, die sie erzählen. Welche Rolle spielt während des Camps die Geschichte von sozialen Bewegungen, die nicht aus dem »globalen Norden« stammen?

Fuchs: Dieses Mal gibt es zwei eigene anti-imperialistisches Programmzelte. Dort sind auch viele Bewegungen vertreten, die nicht vorwiegend weiß sind, sondern in denen BIPoCs (Black, Indigenous, and People of Color, d.Red.) wichtige Rollen spielen. Etwa Debt for Climate, eine Gruppe, die vom Globalen Süden aus einer anti-kolonialen Perspektive initiiert wurde. Zu den Gruppen, die diese Zelte bespielen, gehört eine auf dem letztjährigen Camp entstandene
Palästina-solidarische Vernetzung, die innerhalb der deutschen Klimagerechtigkeitsbewegung den palästinensischen Freiheitskampf thematisiert. Und »Resistance Connections Ukraine« geht es um die anti-autoritären und dekolonialen Kämpfen in der Ukraine. Außerdem gibt es ein Antidiskriminierungskonzept, Safe Spaces, rassismuskritische Bildungsangebote und Workshops für weiße Menschen. Denn leider erfahren BIPoCs auch innerhalb der Klimabewegung Rassismus. Es ist wichtig, dass weiße Aktivistinnen mehr darüber lernen, um sensibler damit umzugehen.
Blessing: Man muss deutlich sagen, dass wir eine deutsche, vor allem weiße und christlich geprägte Gruppe sind, die das Camp organisiert – natürlich nicht vollständig, aber mit einer klaren Dominanz, wie sie in vielen Klimagerechtigkeitsgruppen in Deutschland existiert. Bei der Programmauswahl berücksichtigen wir verschiedene Diskriminierungsformen besonders und versuchen mit unseren limitierten Kapazitäten Kontakt herzustellen zu Teilen der Zivilgesellschaft, deren Perspektive von uns und anderen bisher auf den Camps vermisst wurde.

Zum Beispiel?

Blessing: Die Performance »Made in Germany – deutsche Waffen, globale Spuren der Gewalt« thematisiert, wie wir mit dem kolonialen Erbe Deutschlands umgehen und welche Rolle deutsche Waffenexporte weltweit spielen. Gleichzeitig erzählt sie die Geschichte des Exil-Iraners und Künstlers Ali Fathi, der sich seit Langem künstlerisch gegen Rüstungsexporte aus der Bundesrepublik einbringt. Menschen wie er, die aus marginalisierten Positionen heraus solche Themen setzen, brauchen Bühnen – und wir versuchen, sie zu bieten. Dazu gehören auch externe Zelte, in denen Gruppen das Programm autonom gestalten können. So kommen viele Perspektiven aufs Camp, die bisher nicht vertreten waren.

Bislang hat sich die Klimabewegung noch nicht sonderlich viel mit den Kriegen auf dieser Welt auseinandergesetzt.

Blessing: Umso mehr freue ich mich, dass es in diesem Jahr viele Beiträge zum Antimilitarismus gibt, etwa eine Podiumsdiskussion über Militarismus und Klimakrise von Ende Gelände. Kriege verursachen Leid und befeuern die Klimakrise. Andersrum können Klimawandelfolgen Konflikte verursachen.
Derzeit entstehen einige Gruppen, die diese Themen verbinden, etwa »ÖPNV statt Panzer« in Görlitz: deren Ziel ist es, die Konversion einer Waggonfabrik in eine Panzerschmiede zu verhindern.

Ist die Friedensbewegung etwa in Form der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) auch auf dem Camp vertreten?

Blessing: Ob klassische Friedensbewegungsgruppen da sein werden, kann ich aus dem Kopf heraus nicht sagen. Dafür verantwortet die Interventionistische Linke Frankfurt einige Beiträge zu Krieg, Aufrüstung und Klimakrise. Dort wird es auch um das Camp und die Aktionen von Rheinmetall Entwaffnen Ende August in Köln gehen.

Auf welche Programmpunkte freuen Sie sich noch?

Fuchs: Schwierig, eine Sache herauszupicken. Ich freue mich darauf, mehr zu den Perspektiven aus dem Globalen Süden zu erfahren. Es wird zum Beispiel einen Workshop geben, in dem Menschen berichten, wie sich die Klimakrise in Syrien auswirkt. Spannend sind auch Themen wie Care-Arbeit, wirtschaftstheoretische Fragen oder Aktivismus-Organisation: Wie finde ich eine Gruppe? Wie verhindere ich Burnout? Wenn so viele Menschen zusammenkommen, gibt es viele unterschiedliche Interessen – und ein vielfältiges Programm ist das Beste, was man anbieten kann.

Letztes Jahr fand das Camp in Thüringen mit dem Schwerpunkt Antifaschismus und Rechtsruck statt. Dabei haben Sie auch versucht, viel mit den Menschen vor Ort in Kontakt zu treten. Wie viele Teilnehmende erwarten Sie dieses Mal und möchten Sie konkret die lokale Bevölkerung ansprechen?

Fuchs: Wir rechnen mit ungefähr 1000 Teilnehmenden. Es gibt Formate, die Frankfurter*innen einbinden, etwa Campführungen oder eine Demonstration, die auf dem Camp endet. Wir vernetzen uns seit Monaten mit lokalen Frankfurter Gruppen und mobilisieren auch gezielt in den umliegenden Stadtvierteln.

Warum fiel die Wahl auf Frankfurt als Austragungsort?

Blessing: Natürlich ist die zentrale Lage ein wichtiger Aspekt bei der Ortswahl gewesen. Aber er passt auch super zu unserem Motto: Frankfurt ist ein wichtiger Ort für soziale Bewegungen – von den Protesten gegen die Startbahn West in den 80ern bis zur Occupy-Bewegung in den 2010er-Jahren.

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