Ein Schritt in Richtung Krieg

Die Eskalation der Ukraine-Krise ist ein Ausweis des politischen Versagens auf allen Seiten, meint Wolfgang Hübner

Wie sich die Bilder gleichen: Im Februar 2014, unmittelbar nach den Olympischen Winterspielen in Sotschi, begannen russische Truppen die ukrainische Halbinsel Krim zu besetzen – ein Vorgang, den man gut begründet auch Annexion nennen kann. Im Februar 2022, nur Stunden nach dem Ende der Olympischen Winterspiele von Peking, erkennt Russlands Präsident Putin die beiden sogenannten Volksrepubliken per Dekret diplomatisch an und dokumentiert damit, dass er sie nicht mehr als Teil der Ukraine betrachtet. Kurz danach wird ein Befehl bekannt, russische Soldaten in den Donbass zu schicken.

Damit sind sämtliche Bemühungen aus den letzten Wochen, den Ukraine-Konflikt in den Rahmen von Dialog und Diplomatie zurückzuholen, vorerst und wahrscheinlich für längere Zeit gescheitert. Die Gespräche des französischen Präsidenten und des deutschen Kanzlers in Moskau, der Versuch, ein Treffen Putins mit dem US-Präsidenten herbeizuführen, erscheinen im Lichte der neuesten Entwicklung wie eine Farce. Russland hat zugleich die Verhandlungen im Minsk-Format faktisch beerdigt. Das ist, man muss es leider sagen, die Politik einer imperialen Großmacht, die ihre Nachbarterritorien als ihr natürliches Einflussgebiet betrachtet. So haben die Großmächte des Westens, bis zurück in die Kolonialzeit, hundertfach gehandelt; so handelt nun auch Russland.

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Diese Eskalation, die dramatische Auswirkungen weit über die Donbass-Region hinaus haben wird, ist reine Machtpolitik. Sie hat nichts mit den Interessen der Menschen zu tun, die in der Region leben und als Schachfiguren hin und her geschoben werden. Das trifft freilich auch auf die Haltung des Westens zu, der lange Zeit glaubte, er könne Russland am langen Arm diplomatisch und wirtschaftlich zappeln lassen. In seinem Hochmut meinte er, Forderungen und Wünsche Moskaus ignorieren oder billig abspeisen zu können. Es gab eine Zeit, als eine engere Kooperation zwischen Russland und der EU, zwischen Russland und der Nato möglich schien. Das hätte Mühe bedeutet, denn Russland ist, zumal mit diesem Präsidenten, kein einfacher Partner. Aber eine schwierige Partnerschaft wäre allemal besser als eine Feindschaft. Dieser Mühe wollte sich der Westen nicht unterziehen.

Russland und sein Präsident sind oft genug brüskiert worden, weil man im Westen hoffte, sie hätten sich als Kontrahenten auf Augenhöhe erledigt. Das erklärt die russische Verbitterung, macht aber die gegenwärtige gefährliche Zuspitzung nicht besser. Nichts wird durch Abspaltung und Besetzung besser: nicht die fragile Lage in der Krisenregion, nicht das schon sehr gespannte Verhältnis zwischen Russland und der Nato, nicht das Verhältnis zwischen Russland und anderen Nachbarstaaten.

Präsident Putin bestätigt mit seinen Entscheidungen, das ist die bittere Erkenntnis, genau die Vorwürfe, die der Westen gegen ihn erhoben hat. Russlands Armee werde nicht in die Ukraine einmarschieren? Eine schnöde politische Lüge; vielleicht sogar eine Kriegslüge. Dass diese Truppen nun Friedenstruppen heißen sollen, ist zynisch – zumal diese Entscheidung unmittelbar einem demonstrativen Test von Atomraketen folgt. Es wäre ein Frieden zu Putins Bedingungen, unter Aufsicht der russischen Armee. Man darf davon ausgehen, dass diese Entwicklung keinem spontanen Entschluss entsprang, sondern länger geplant war. Die russische Debatte über die Anerkennung der Donbasss-Republiken ist nicht neu, und womöglich war die Sache schon beschlossen, als Putin vor gut zwei Wochen gefeierter Stargast bei der Eröffnung der Winterspiele in Peking war.

Es wäre jetzt ganz einfach, aus dem Ukraine-Konflikt eine globale Krise zu machen, bei all den Lunten, die gelegt wurden und nur darauf warten, angezündet zu werden. Viel schwieriger ist es, auf die Ebene der Vernunft und der Geduld zurückzukehren, auf beiden Seiten. Dabei sind wirtschaftliche Erpressungsversuche des Westens ebenso fehl am Platze wie nationalistische Märchen aus Moskau, die einen Anspruch auf fremdes Territorium begründen sollen. Was am allerwenigsten gebraucht wird, sind Soldaten und Panzerkolonnen, Manöver und Einmarschpläne. Der Westen hat weder mit Rüstungsgütern noch mit Militärberatern etwas in der Ukraine zu suchen. Und auch für Moskau, für die prorussischen Freischärler und für Kiew gilt - wie für alle Mächte, die glauben, Konflikte mit militärischer Brachialgewalt für sich entscheiden zu können: Frieden schaffen ohne Waffen!

Nicht zuletzt: Mit den Unsummen, die jetzt und seit Langem auf allen Seiten für die Aufrüstung verpulvert werden, könnten locker dringende soziale Probleme gelöst werden. Und von denen gibt es auf allen Seiten mehr als genug. Solche Investitionen würden den Menschen wirklich helfen. Ganz im Gegensatz zu Krieg.

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