Wenn die Bienen Trauer tragen

Eine göttliche Mische: »Öl und Bienen« von Torsten Schulz

  • Frank Willmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Die großen Themen sind immer die kleinen Themen. Und die Freuden des Alkohols sollte man nicht unterschätzen. Das weiß Torsten Schulz, beziehungsweise wissen die drei männlichen Protagonisten in seinem neuen Roman »Öl und Bienen« aus langjähriger Erfahrung. Neben dem Hören von Rockmusik westlicher Machart (Deep Purple, Black Sabbath, Led Zeppelin) ist ihre Hauptbeschäftigung das gemeinsame fachgerechte Trinken von Bier und Wurzelpeter. Ab einer bestimmten Menge dieser göttlichen Mische verfallen die drei beim Musikhören in eine Art Trance.

Wir schreiben das Jahr 1979, in einem Nest irgendwo im Havelland. Da sitzen der Ihmsche und zwei weitere exquisite Ausgaben der Marke Mann auf des Ihmschen Couch. Der Ihmsche war vor einem Arbeitsunfall ein fleißiger Maurer. Auch seine beiden Freunde sind versehrt. Dem einen fehlt ein Fuß, dem anderen macht nicht nur der Blutdruck schwer zu schaffen, weshalb er auf den schönen Namen Blutblase hören darf.

In der Küche wirbelt (noch) des Ihmschen recht bösartige Mutti, alias Mutsch, die des Ihmschen Erdöl suchenden Vater (gestorben im Krieg) nie verzieh, dass dem einzig nach Erdöl der Sinn stand. Als aus dem Nichts erst Bienen als Boten des Schreckens erscheinen und nach Mutschs recht schnödem Ableben ein Schwarm heiratsverrückter Damen die chillige Friedhofsruhe der drei Helden gefährdet, nimmt die Story furios Fahrt auf.

Schulz selbst lebt inzwischen manchmal in Berlin und meist in Mecklenburg in einem kleinen Dorf. Eine Kneipe gibt es da leider nicht, dafür ein Volleyballfeld für alle und einen permanent rotierenden Stammtisch. Schulz kommt vom Film und unterrichtet in Potsdam Drehbuchschreiben. Seine Dialoge sind inspiriert. Wie jeder gute Autor liebt er seine Figuren und lässt uns teilhaben an ihren noch so bonfortionösen Fisimatenten, dass es eine Lust ist! Obgleich ich bei Lektürebeginn ein wenig Angst hatte, er würde mich, wie so viele altgewordene ostsozialisierte Wortmeister*innen, mit einem Dorfroman langweilen wollen.

Achtung Halbspoiler! Das oft und gern von superguten Menschen angemahnte Bienensterben spielt keine Rolle in Torsten Schulz’ neuem Roman. Obgleich er früher mal ab und an am Rand des Ostalgie-Chores mitmaulte, hat er sich nunmehr freigelaufen/gestrampelt und widmet sich aufs Vorzüglichste den strangen Außenseitern, den wunderbar irren Träumern. »Öl und Bienen« ist ein witziger, hintergründiger, mehrdeutiger, fantastischer Wonneproppen von Buch.

Spätestens als Superfrau Agnes auftauchte, schmolz alles in mir: »Sie schüttelte ihre Mähne, stieg aufs Motorrad und fuhr die knapp hundert Meter bis vors Gartentor des Ihmschen. Das Tor war verschlossen. Mit einem Fußtritt öffnete sie es. Auch die Eingangstür war verschlossen. Ja klar, das sieht ihm ähnlich: abtauchen, tot stellen. Sie hatte keine Lust mehr, nach ihm zu rufen. Wieder ein Fußtritt, doch der reichte nicht aus. Sie nahm die Arme vor die Brust, spannte die Muskeln ihres Oberkörpers und warf sich gegen die Tür.«

Lesen Sie selbst, wie’s weitergeht und auf welch geniale der Autor das Öl-und Bienen-Welträtsel löst. Man muss es so sagen: Der Altmeister Torsten »Boxhagener Platz« Schulz ist literarisch wieder obenauf.

Torsten Schulz: Öl und Bienen. Klett-Cotta, 224 S., geb., 22 €.

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