Verbal abrüsten

Daniel Lücking zur Rede von Wolodymyr Selenskyj im Bundestag

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 2 Min.

Mit Applaus empfingen die Abgeordneten des Bundestages den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der am Donnerstagmorgen per Videoschaltung vor dem hohen Haus sprach. Mit geschichtlichen Analogien zum Ende des Zweiten Weltkriegs, dazu ein Plädoyer gegen eine neue Mauer durch Europa. »Sie wollen nicht hinter die Mauer gucken«, wirft Selenskyj den Deutschen vor und ist an anderer Stelle nah an Holocaust-Relativierungen, wenn er sagt: »In Europa wird ein Volk vernichtet.«

Die ukrainische Kriegskommunikation ist so abgestimmt und stringent wie offensichtlich manipulativ angelegt. Achtzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wird versucht, jede Entscheidung, die nicht umgehend dem Willen der ukrainischen Regierung folgt, implizit oder explizit über Vergleiche zum Nationalsozialismus auszuhebeln. Mit den Analogien zur Berliner Mauer und zur Luftbrücke 1948/49 legen die ukrainischen Propagandisten nahe, dass es für Berliner Abgeordnete keine andere Entscheidungsoption gibt, als den Forderungen der Ukraine nachzugeben.

Über die sozialen Medien, aber auch die Berichterstattung im Rundfunk sind alle verantwortlichen Politiker*innen so nah an diesem Krieg wie an keinem anderen zuvor. Umso notwendiger ist es, jede Entscheidung rund um Waffen und den Einsatz internationalen Kriegsgerätes gerade jetzt kühl und distanziert zu treffen, denn sie wird unweigerlich als Kriegseintritt gewertet. Ein Krieg, den wir im Wissen um die uns bevorstehende Dimension natürlich verhindern müssen.

Wer Waffenlieferungen und Truppeneinsätze als historisch notwendig darstellt, deutet einseitig. Ob uns zwingend ein zerbombtes Europa wie nach dem Zweiten Weltkrieg bevorsteht, ist noch offen, und niemand kennt den Ausgang der Geschichte im 21. Jahrhundert. Dass Putin jetzt die Chance hätte, staatsmännisch so zu handeln wie Michail Gorbatschow 1989, wird in den Reden und Appellen aktuell nicht beschworen, die als historische Bezüge nur Nationalsozialismus-Analogien kennen. Wer stets so orakelt, verstellt uns allen irgendwann den Blick darauf, eine andere, friedliche Lösung überhaupt in Erwägung zu ziehen.

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