90 Minuten den Beat feiern

Plattenbau. Die CD der Woche: »Catharsis« von Sven Väth

  • Livia Lergenmüller
  • Lesedauer: 3 Min.

»Will wieder spüren, schwitzen und dich berühren. Mich tief fallen lassen in diese Welten, die mir fehlten. Ich will feiern«, raunt Väth auf seiner Vorab-Single »Feiern«, die im September vergangenen Jahres erschien. Der Versuch, Offensichtliches auszudrücken oder doch die Realitätsferne eines DJs, der während der Pandemie vor allem durch seine Auftritte auf »Plague Raves« aufgefallen war? Rund ein halbes Jahr später erschien jedenfalls die dazugehörige LP. »Catharsis« ist das erste Studioalbum Väths seit fast 20 Jahren. Gemeinsam mit Gregor Tresher lässt Väth hier auf 13 Tracks seinen »musical footprint from different decades« Revue passieren.

Mitte der 1980er Jahre wurde er zum Popstar des Techno, als er mit dem Musikprojekt OFF die Charts eroberte. Mit seinen 20-30 Stunden langen Sets prägt er die jugendliche Feierkultur, gründete Kultlabels wie Eye Q oder Harthouse, bespielte die Loveparade und war der Besitzer der legendären Clubs »Omen« und »Cocoon« in Frankfurt. Lange Zeit galt er als der Innovator schlechthin, wurde mehrfach von »Groove«, »DJ Mag« und »Resident Advisor« zum besten DJ gewählt. Über einhundert Mal legte Väth vor der Corona-Pandemie jährlich im Schnitt auf.

Mit Beginn der Pandemie wollte er damit jedoch einfach nicht aufhören. 2021 reiste Väth den Maßnahmen-Lockerungen hinterher und postete fröhlich Videos von riesigen, maskenfreien Raves in Goa, Indien. Auch auf einem Festival in Saudi-Arabien, das von der dortigen Regierung organisiert war, legte er auf. Deren Menschenrechtsverletzungen schienen ihn dabei eher nicht zu interessieren. Im »Spiegel«-Interview betonte Väth zuletzt, dass er »sehr tolerant« sei und sich zum Beispiel nicht daran störe, wenn seine Musik auf Hygiene-Demos laufe. Das unbestreitbare Highlight: Im Dezember letzten Jahres wurde Tesla-Gründer Elon Musk mit dem Axel-Springer-Award geehrt, Sven Väth legte vor Ort auf und überreicht Musk als Dankeschön eine Vinyl-Single mit einem Remix von Musks Track »Don´t Doubt Your Vibe.« Nein, das ist keine Satire.

Von Kritik zeigt sich Väth ohnehin schon seit Langem unberührt. Der »Babba«, wie er in seiner Heimat Frankfurt genannt wird, muss eben niemandem mehr etwas beweisen, für seine Gefolgschaft schwebt er sowieso über allen Dingen.

Nun nimmt er sich auf »Catharsis« daher auch satte 90 Minuten Zeit, um »den Beat« und offensichtlich auch sich selbst zu feiern. Das Album sei - Überraschung - der Tanzfläche gewidmet. Gut, dass es hier um die Katharsis, die Selbstreinigung geht. Da soll bloß kein Kritiker mit den Plague Raves um die Ecke kommen!

Entstanden ist ein gefälliges Schablonen-Album, das von Gregor Tresher produziert wurde und auch ganz genauso klingt. Eingängige, groovige Tech-House-Sounds in gemäßigtem Tempo, mit spirituell angehauchten Synthesizern, die jedoch große Überraschung oder Innovation missen lassen - Ibiza lässt grüßen.

Zwischendurch meldet sich Väth mit Grabesstimme und Phrasen wie »We are what our thoughts have made us« zurück. Der Track »Catharsis« gleicht gar einem schamanischen Bongo-Song, der auch auf einem touristischen Ayahuasca-Retreat laufen könnte. Sphärische Sounds umrunden das Album und verabschieden sich auf »Panta Rhei« mit einem wasserplätschernden ASMR. Schlecht ist das nicht unbedingt, aber bestenfalls einfach irrelevant. Sven Väth liefert 90 Minuten Selbstbeweihräucherung und dabei wenig Neues. Es soll ja aber auch ein Blick zurück sein.

Ende des Jahres soll, passend dazu, eine umfangreiche CD- und Vinyl-Box erscheinen. Für diese ist Väth in die Tiefen seines Archivs gegangen und will nun sein musikalisches Schaffen dokumentieren. Zu Ehren Väths Beitrag für die Technokultur sollte man sich das vielleicht nochmal anhören. Denn bei aller Kritik: Ohne ihn, würde sich Techno heute sicherlich anders anfühlen.

Sven Väth: »Catharsis« (Cocoon Recordings)

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