Schwarzmeerperle Odessa unter Beschuss

Moskau verstärkt Angriffe auf ukrainische Städte. Fast 10 000 russische Soldaten sollen mittlerweile gefallen sein

  • Birger Schütz
  • Lesedauer: 4 Min.

Auch ein Angriff auf Odessa ist offenbar kein Tabu mehr: Erstmals seit Kriegsbeginn haben russische Kriegsschiffe zivile Gebäude in Außenbezirken der drittgrößten Stadt der Ukraine beschossen. Dies meldete der ukrainische englischsprachige »Kyiv Independent« am Montag. Bei dem Angriff auf die Stadt, die seit ihrer Gründung durch Katharina die Große als Sehnsuchtsort russischer Kultur und Literatur gilt, wurden mehrere Häuser beschädigt. Tote gab es nach vorläufigen offiziellen Angaben nicht. Die Schwarzmeermetropole ist für die Ukraine von großer strategischer Bedeutung: Odessa besitzt den größten Hafen des Landes und gilt als Nadelöhr für den internationalen Handel der Ukraine. Der Großteil der ukrainischen Im- und Exporte wird über Odessa abgewickelt.

Als Schlüssel zur Eroberung der Hafenstadt auf dem Landweg gilt die Kontrolle über das etwa 130 Kilometer westlich gelegene Mykolajiw. Um die 480 000-Einwohner-Stadt toben seit Tagen erbitterte Kämpfe. Viele Bewohner sind geflohen. Allein in der Nacht auf Dienstag habe die russische Luftwaffe drei Angriffe auf Mykolajiw geflogen, meldete am Dienstag Witali Kim, der Gouverneur des Gebietes. Verletzte oder Tote soll es dabei nicht gegeben haben. Die ukrainische Armee kämpft weiter gegen den Einschluss Mykolajiws durch russische Truppen.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

In der Hauptstadt Kiew sollen in der Nacht auf Dienstag zahlreiche Saboteure festgenommen worden sein. Das ukrainische Medienportal NW spricht von insgesamt 149 Personen. Zehn Sprengsätze seien entschärft worden. In der Stadt wurde eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Nach ukrainischen Angaben konnte das Schließen des russischen Belagerungsringes um die ukrainische Hauptstadt weiterhin verhindert werden. Beobachter und Journalisten beschreiben teilweise einen Stimmungsumschwung. Nach tagelangen Gefechten soll den ukrainischen Streitkräften sogar die Rückeroberung der Kleinstadt Makariw, 60 Kilometer von Kiew entfernt, gelungen sein. Die Information ist nicht unabhängig überprüfbar

Am Rande einer humanitären Katastrophe befindet sich weiterhin die seit rund drei Wochen belagerte Stadt Mariupol. Die Uno beklagt einen »kritischen und potenziell lebensbedrohlichen Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser und Medikamenten«. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nannte am Montag »das, was in Mariupol geschieht, ein schweres Kriegsverbrechen«. An der Belagerung der ukrainischen Hafenstadt sollen auch tschetschenische Einheiten teilnehmen, wie Ramsan Kadyrow, Oberhaupt der muslimischen Republik im Nordkaukasus, am Montag mitteilte. Die Kämpfer sollten am kurz bevorstehenden Sturm von Mariupol teilnehmen und die Stadt »Block für Block befreien«, so Kadyrow in seinem Telegramkanal. »Wir werden nicht aufhören, bis wir den letzten Banderowez und Nationalisten zur Verantwortung gezogen haben.« Angeführt werden die Einheiten angeblich von Kadyrows rechter Hand Adam Delichanow, der für Einiges Russland in der Duma sitzt, schreibt die Moskauer Boulevardzeitung »Moskowski Komsomolez«.

Auch andere ukrainische Städte wie Charkiw, Krywyj Rih (russisch: Kriwoj Rog) und die von russischen Truppen eingeschlossenen Städte Tschernigiw und Sumy wurden weiter beschossen. Bei einem Bombardement der Stadt Kramatorsk sollen Phosphorbomben eingesetzt worden sein, meldeten ukrainische Medien. Bei der Explosion des von der Genfer Konvention verbotenen Bombentypus entsteht eine bis zu 1300 Grad Celsius heiße Flamme. Schwere Verbrennungen sind die Folge. Bereits vor rund einer Woche hatten ukrainische Quellen den Abwurf von Phosphorbomben im ukrainisch kontrollierten Teil des Luhansker Gebietes gemeldet.

In der russisch okkupierten Stadt Cherson in der Südukraine reißen derweil die Proteste gegen die Besatzer nicht ab. Am Montag haben dabei erstmals russische Soldaten auf ukrainische Demonstranten geschossen. Auf im Internet kursierenden Handy-Aufnahmen ist das Rattern von Maschinengewehren und das Detonieren von Tränengas-Granaten zu hören. Ein Clip zeigt einen offenbar verletzten älteren Mann, der in einer Blutlache liegt.

Am Dienstag meldeten ukrainische Medien erneut Proteste in Cherson. Am selben Tag soll die Abgeordnete des Stadtrates der südukrainischen Stadt Tokmak, Jelena Plaksina, von russischen Besatzungstruppen festgenommen worden sein.

Einen überraschend offenen Einblick in Moskaus reale Verlustzahlen gewährte am Sonntag die russische Boulevardzeitung »Komsomolskaja Prawda«. Seit Beginn des Feldzuges gegen die Ukraine seien 9861 russische Soldaten gefallen und 16 153 verletzt worden, meldete das Blatt unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium. Bislang hatte Moskau offiziell von 498 getöteten Soldaten gesprochen. Der Artikel verschwand wenige Stunden nach der Veröffentlichung wieder von der Webseite. Der Kreml äußerte sich zu den Zahlen nicht.

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schojgu soll wegen der schweren Verluste in der Ukraine den Kommandierenden der sechsten russischen Armee, Generalleutnant Wladislaw Jerschow, entlassen haben, meldete am Dienstag die ukrainische Nachrichtenagentur Unian.

Nach UN-Angaben vom Montag sind seit Kriegsbeginn fast dreieinhalb Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Weitere sechseinhalb Millionen seien zu Binnenflüchtlingen im Land geworden.

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