Warnsignal aus Brüssel

Der Strategische Kompass der EU erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Krieg ein normales Mittel der herrschenden Politik wird, meint Özlem Alev Demirel.

  • Özlem Alev Demirel
  • Lesedauer: 4 Min.

Die EU-Staatschefs haben ein neues Grundlagendokument verabschiedet: den sogenannten Strategischen Kompass. Er gibt die Richtung für die EU Außen- und Sicherheitspolitik vor. Auf Basis einer erstmals vorgenommenen Bedrohungsanalyse wird ein ganzes Maßnahmenbündel zum Ausbau der militärischen Fähigkeiten vorgestellt. Das Ziel, eine Militärunion aufzubauen, ist zwar älter als der Krieg in der Ukraine, die Bemühungen dafür werden dadurch jedoch beschleunigt. Die Verunsicherung in der Bevölkerung wird benutzt, um vorhandene Bedenken beiseite zu schieben.

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Konkret legt das Dokument dar, wie EU-»Interessen« strategisch autonom umgesetzt werden können. Was diese Interessen sind, wurde bereits in der Global Strategy 2016 ausgeführt: Die EU müsse in der Lage sein, weltweit wichtige Handelsrouten und Seewege zu sichern – zur Not auch militärisch. Der Strategische Kompass bettet diese Zielsetzung und die bereits geschaffenen wie zusätzlich noch »benötigten« Instrumente in eine Gesamtstrategie ein. Die Message der EU ist deutlich: Die Union als eigenständige Macht ist gut gerüstet für kommende Auseinandersetzungen um Einflusssphären. Rüstungskontrolle und Diplomatie fallen nahezu völlig unter den Tisch. Und dabei rühmte Brüssel sich lange, eine Diplomatiemacht zu sein.

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Die Militarisierung der EU erhöht nicht nur die Wahrscheinlichkeit, dass Krieg und militärische Gefechte ein normales Mittel der herrschenden Politik werden. Sie führt auch zu Intransparenz und weniger demokratischer Kontrolle. So wurde die zunächst erstellte Bedrohungsanalyse als so geheim eingestuft, dass Abgeordnete sie nicht einsehen durften. Der Strategische Kompass spricht nun von »vielfältigen Bedrohungen« für die EU. Von »Terrorismus, gewaltbereitem Extremismus, organisierter Kriminalität bis hin zu hybriden Konflikten, Waffenproliferation und sogar ›irregulärer‹ Migration« ist die Rede.
Den Hauptgrund, warum es eine Militärunion brauche, hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) schon 2019 genannt: die verstärkte Rivalität und »Wiederkehr« der Konkurrenz großer Mächte, in der die EU nicht neutral bleiben könne, da sie schließlich Teil dieses Konkurrenzkampfs ist. Diese Aussage ist ehrlich. Die EU ist in diesem Machtkampf keine neutrale Instanz, die um scheinbare Werte kämpft, sondern Teil des immer robuster ausgetragenen Konkurrenzkampfes um Absatzmärkte, Ressourcen und Einflusssphären. In diesem Machtkampf möchte die EU, dort wo wirtschaftliche Interventionen nicht mehr reichen, auch militärisch durchgreifen können. Spiegelverkehrt zur Militärmacht Russland, die mit Beginn des aktuellen Angriffskrieges ankündigte, sich in Zukunft industriell weiterentwickeln zu wollen, kündigt die Wirtschaftsmacht EU damit an, ihre Militärpolitik weiter auszubauen.

Der Strategische Kompass unterbreitet rund 60 Vorschläge, die größtenteils mit konkreten Zeitplänen hinterlegt sind. Die größte Aufmerksamkeit erhielt dabei der Plan für eine schnellen Eingreiftruppe mit 5000 Soldat*innen. Doch auch die angestrebte Aushebelung des Konsensprinzips für Militäreinsätze, der Ausbau von mehr länderübergreifenden Rüstungsprojekten für Hightech-Kriegsgerät und die Mehrwertsteuerbefreiung für die gemeinsame Beschaffung von Rüstungsprodukten sind vorgesehen.

All diese Maßnahmen dienen weder dem Frieden noch irgendwelchen gepriesenen Werte. Sie stellen die liberale Demokratie als Ganzes in Frage. Denn Militarismus geht immer einher mit dem Abbau der liberalen Demokratie. Die Tatsache, dass dies nun auf EU-Ebene stattfindet, verstärkt die Intransparenz.

Das große Kriegspotenzial, das hinter den Ankündigungen steht, der laufende Angriffskrieg und der begonnene Wirtschaftskrieg sollten uns ein Warnsignal sein. Denn die Kriege und Machtkämpfe werden überall auf dem Rücken der Armen und der Arbeiter*innen ausgetragen. Damit sie dafür nicht mit Leib und Leben oder Hab und Gut bezahlen müssen, braucht es eine starke Friedensbewegung. Auch Linke müssen sich entscheiden, wo sie in diesem Kampf stehen: an der Seite des Militarismus für Kapitalinteressen oder an der der Arbeiter*innen und Armen.

Özlem Demirel (LINKE) ist seit 2019 Mitglied im Europaparlament.

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