Verlustreiche Kämpfe

Tausende russische Soldaten sterben in Putins Krieg, darunter auffällig viele Generale

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Nato schätzte Mitte der vergangenen Woche, dass bislang zwischen 7000 und 15 000 russische Soldaten im Ukraine-Krieg getötet wurden. Das russische Verteidigungsministerium hüllte sich zunächst in Schweigen. Der für das militärische Debakel seiner Streitkräfte letztlich verantwortliche Verteidigungsminister Sergej Shoigu, ein enger Freund des russischen Präsidenten, und Generalstabschef Waleri Gerassimow waren ab dem 11. März plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwunden. Warum, ist unklar. Shoigu habe eine Herzattacke erlitten, hieß es. Am Freitag dann meldete sich Gerassimows Vize, Generaloberst Sergei Rudskoy, zu Wort: als »Leichenzähler«. Leider, so sagte er, »gibt es während der militärischen Spezialoperation Verluste unter unseren Mitstreitern. Bis heute wurden 1351 Soldaten getötet, 3825 verletzt.« Die Wahrheit dürfte grausamer sein. Wie hoch die Opfer der ukrainischen Streitkräfte sind, bleibt geheim. Westliche Experten gehen davon aus, dass sich die Verluste von Russen und Ukrainern in einem Verhältnis drei zu eins bewegen.

Der Tod ist nur selten ein Thema in den Frontberichten russischer Medien. Und wenn, dann schließt sich eine Heldengeschichte an. Mit Sätzen wie diesem: »Angesichts der Gefahr erfüllte er ehrenhaft seine militärische Pflicht gegenüber dem Vaterland und erlitt dabei eine tödliche Verwundung.« Was die posthume Verleihung einer Medaille für »Tapferkeit und Mut« zur Folge hat. Orden mögen sich an Uniformen gut machen, im realen Leben sind sie wenig wert. Daher beschloss die russische Duma am Mittwoch, den Teilnehmern »an einer besonderen Militäroperation in der Ukraine« den Status von Veteranen zuzuerkennen. Präsident Wladimir Putin hat es Ende der Woche unterzeichnet. Damit haben sie Zugang zu den gleichen Sozialleistungen wie diejenigen, die in Afghanistan und Syrien gekämpft oder an den Feldzügen in Tschetschenien teilgenommen haben. Das bedeutet: mehr Rente, Steuererleichterungen, es gibt einen Anspruch auf kostenlose Prothesen »gemäß den geltenden Finanzvorschriften« sowie beim »Vorliegen medizinischer Indikationen« Gutscheine für Sanatorien. Regionale Parlamente legen noch etwas drauf. In St. Petersburg bekommen Veteranen unter anderem eine Vorzugskarte und einen 90-Prozent-Rabatt bei Reisen in Vorortzügen und Bussen - allerdings nur im Sommer. Die hauptstädtischen Duma-Abgeordneten billigen Familien Gefallener jeweils drei Millionen Rubel zu. Das sind derzeit knapp 28 000 Euro.

Auffällig sind die relativ hohen Verluste bei höheren Kommandeuren. Bislang wurden auf russischer Seite vermutlich sechs oder mehr Generale getötet. Unter ihnen ist Wasili Gerassimow, ein Neffe des abgetauchten russischen Generalstabschefs. Er soll, so sagen ukrainische Geheimdienste, bei Charkiw gestorben sein. Vor dem Angriff auf die Ukraine hatte er Truppen im Syrien-Krieg und bei der Krim-Annexion 2014 befehligt. So wie Generalmajor Andrej Suchowetzki. Dessen Leben wurde durch einen Scharfschützen beendet. Am Freitag behauptete das ukrainische Präsidialbüros, dass auch der Kommandeur der 49. Armee, Generalleutnant Jakow Resanzew, »vernichtet« worden sei. Sterbeort sei der Flughafen Tschornobajiwka in der Region Cherson. Bei Mariupol geriet der Chef einer Schützendivision, Generalmajor Oleg Mitjajew, in einen Hinterhalt, ein ranggleicher Militär wurde per Drohne umgebracht. Auch der Vizechef der Schwarzmeerflotte, Andrej Nikolajewitsch Pali, sei »bei den Kämpfen zur Befreiung von Mariupol von den ukrainischen Nazis getötet worden«, teilte der Gouverneur von Sewastopol jüngst mit. Damit ist vermutlich ein Viertel aller am Ukraine-Feldzug beteiligten russischen Generale umgekommen. Auch 13 Oberste, die in der Regel Bataillonskampfgruppen befehligten, sollen auf den Verlustlisten stehen.

Ist die Zielsicherheit ukrainischer Schützen ein Zufall? Kaum. Unter der Hand verweisen westliche Geheimdienstexperten auf die sehr effektive Unterstützung durch Aufklärungskräfte der Nato. Diese Hilfe sei wichtiger als alle westlichen Waffenlieferungen zusammen, heißt es. Satelliten jeder Art sind im Einsatz. So wie bemannte und unbemannte Aufklärer vor allem der USA. Rund um die Uhr, dicht an den Grenzen zur Ukraine scannen sie jegliche elektronische Strahlung, verfolgen relevanten Funk- und sonstigen Datenverkehr der Angreifer. Für Cyberexperten ist es kein Problem, den Standort privater Handys zu orten, Systeme künstlicher Intelligenz erkennen Zielpersonen an der Stimmlage. Mit der Auswertung solcher Daten ist es für - angeblich an allen Fronten operierende - Spezialkräfte des ukrainischen Geheimdienstes sowie für ukrainische Drohnenpiloten nicht allzu kompliziert, solche »Hochwertziele« anzugreifen. Zumal die sich ob der offenkundig zahlreichen Kommunikations- und Nachschubprobleme, aber auch wegen der schlechten Moral von Putins Truppen gezwungen sehen, »von vorne« zu führen. Das wird sich auch nicht ändern, nachdem Moskau jetzt auf Plan C umschwenkt und »nur« noch die Republiken von Putins Gnaden im Osten der Ukraine gegen »die Faschisten« in Kiew verteidigten will.

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