Amtsbonus der Vizechefin Anke Rehlinger

Anke Rehlinger war jahrelang im Saarland SPD-Ministerin und hat nun zahlreiche Wähler von sich überzeugt

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Saarland ist zwar klein, dort leben etwas weniger als eine Million Menschen, aber man sollte die Wirkung der dortigen Wahlergebnisse auf den Bund nicht unterschätzen. Im Jahr 2017 erhielt Martin Schulz, der damals Kanzler der Bundesrepublik werden wollte, in dem südwestdeutschen Bundesland einen Dämpfer. Seine SPD verlor leicht und kam auf 29,6 Prozent der Stimmen. Das bedeutete Platz zwei hinter der CDU. Danach ging es für die Sozialdemokraten bergab. Ihr Bundestagswahlergebnis war wenige Monate später historisch schlecht.

Spitzenkandidatin der Saar-Sozialdemokraten war im Jahr 2017 Anke Rehlinger. Sie hat nun am Sonntag, fünf Jahre nach ihrer Niederlage, einen überzeugenden Sieg eingefahren. 43,5 Prozent der Stimmen sind nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis gleichbedeutend mit der absoluten Mehrheit im Saarbrücker Landtag. Rehlinger wird künftig als Ministerpräsidentin den Amtsinhaber Tobias Hans von der CDU ablösen. Sie könnte dann alleine regieren. Die SPD hatte seit dem Jahr 1994 keine Landtagswahl mehr im Saarland gewonnen. Damals war ihr Spitzenmann noch Ministerpräsident Oskar Lafontaine.

Wahlforscher führen den Erfolg von Rehlinger auf ihre Popularität zurück. Sie war in den vergangenen acht Jahren Ministerin für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Verkehr, hat also wichtige Ressorts für ein Auto- und Stahlland im Strukturwandel gesteuert. Das hat zumindest ihre Bekanntheit in dem Bundesland gesteigert. Ihre Partei regierte in dieser Zeit als Juniorpartnerin gemeinsam mit der CDU. Rehlinger war auch stellvertretende Ministerpräsidentin und hatte sich in dieser Rolle offensichtlich einen Amtsbonus erarbeitet.

Im Wahlkampf versprach sie in erster Linie, Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen. Die Arbeitslosenquote in dem südwestdeutschen Bundesland beträgt etwa sechs Prozent. Ein weiteres Wahlkampfthema, mit dem die SPD-Spitzenkandidatin offensichtlich punkten konnte, war der Ausbau der erneuerbaren Energien.

In der SPD ist die Saar-Politikerin zuletzt bei unterschiedlichen Flügeln gut angekommen. Ende vergangenen Jahres hatte sie bei der Wahl der stellvertretenden Parteivorsitzenden der Bundes-SPD das beste Ergebnis erzielt. Sie wurde auf dem Parteitag mit 90,7 Prozent im Amt bestätigt. Rehlinger gilt zwar nicht als Parteilinke, aber hatte sich zumindest kritisch zur neoliberalen Agenda 2010 geäußert. »Lasst uns Fehler, die wir gemacht haben, auch als Fehler bezeichnen, um sie ändern zu können«, sagte die diesbezüglich einmal im Interview mit dieser Zeitung.

Wähler wandern von der CDU zur SPD

Allerdings gibt es noch mehr Gründe für den Triumph der Sozialdemokraten. Im Saarland hat die Konkurrenz der SPD im Mitte-links-Spektrum große Probleme. Bei Linkspartei und Grünen gab es zuletzt interne Konflikte. Die Linke hatte sich in dem Land selbst zerlegt. Davon haben die Sozialdemokraten offensichtlich profitiert. Im Lager der Linkspartei gelang es der SPD, rund 17 000 Menschen für sich zu gewinnen. Weitere Zugewinne gab es unter anderem vonseiten der Grünen und der Neuwähler. Am deutlichsten war die Wählerwanderung von der CDU zur SPD. Etwa 33 000 Menschen, die vor fünf Jahren noch ihr Kreuz bei den Konservativen gemacht hatten, entschieden sich nun für die Sozialdemokraten.

In Krisenzeiten setzen viele Bürger offensichtlich vor allem auf Stabilität und entscheiden sich deswegen für die Partei, die im Bund das Sagen hat. In bundesweiten Umfragen liegen die Union und die SPD noch nahe beieinander. Der Wahlausgang im Saarland könnte aber ein Fingerzeig dafür sein, dass die Sozialdemokraten zurzeit die besseren Karten haben. Kanzler Olaf Scholz, der einst in Hamburg für die SPD die absolute Mehrheit der Wählerstimmen erreicht hatte, wird also zufrieden sein. Zumal sich seine Partei trotz zahlreicher kontroverser Themen so geschlossen wie schon seit Jahren nicht mehr präsentiert. Nach dem Überfall von Russland auf die Ukraine hat Scholz für seine Aufrüstungspläne im Willy-Brandt-Haus auch die Rückendeckung derjenigen, die lange als wichtigste Vertreter des linken Flügels der SPD galten. So sagte Generalsekretär Kevin Kühnert in einem Fernsehinterview: »Die meisten haben jetzt verstanden, dass man für 100 Milliarden nicht nur warme Unterhosen anschafft, sondern es wird dann auch ein wenig robuster werden.«

Nach Beratungen der Parteispitze erklärte die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, dass sie hinter Überlegungen für den Kauf eines Raketenschutzschildes stehe. Sie wies allerdings darauf hin, dass sich die Überlegungen noch in einem frühen Stadium befänden. Kühnert war in Bezug auf den Raketenschutzschild, der nach Lesart der Bundesregierung Schutz vor einer potenziellen russischen Bedrohung bieten soll, etwas zurückhaltender. Er wies darauf hin, dass die Situation in Deutschland und Israel, das einen entsprechenden Schutzschild hat, nicht vollständig miteinander vergleichbar sei.

Während Scholz es geschafft hat, die SPD hinter sich zu bringen und optimistisch auf die nächsten Wahlen in Schleswig-Holstein sowie Nordrhein-Westfalen blickt, wird er im Bundesrat bei zahlreichen Entscheidungen zunächst weiter auf die Union angewiesen sein, die nach wie vor in einigen Landesregierungen vertreten ist. Das dürfte zwar so manche Entscheidungsfindungen erschweren, aber Scholz muss wohl nicht ständig mit Blockadehaltungen der Konservativen rechnen. Er hat ebenso wie Rehlinger in vielen Jahren der Koalition genug Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der Union gesammelt.

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