»Sie werden sich falsch entscheiden«

Der Rechtshistoriker Uwe Wesel bietet komprimiert deutsche Zeitgeschichte

  • Ernst Reuß
  • Lesedauer: 2 Min.
Autobiografie: »Sie werden sich falsch entscheiden«

Ich erinnere mich noch gut und gern daran, wie ich einst als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Juristischen Fakultät an der Freien Universität Berlin ihm bewundernd hinterherschaute - mit welch Grandezza er vorbeischritt: Uwe Wesel. Jahrgang 1933, Professor für Zivilrecht und Rechtsgeschichte. Sein Ruf eilte ihm überall voraus. Er war sich dessen auch bewusst. Er sei der einzige Jurist, der das »Recht der Neandertaler« kenne, bekundete er selbst scherzhaft.

Als unkonventioneller, den schönen Dingen des Lebens zugeneigter und als links geltender Juraprofessor, der bereits mit 36 Jahren Vizepräsident seiner Alma mater wurde, ist er eine Legende. In der überaus konservativen Juristenschaft galt damals schon die SPD-Mitgliedschaft als äußerst anrüchig. Der Journalist und Jurist Heribert Prantl, ebenfalls eine Legende, nannte ihn vor einigen Jahren in einer Laudatio zu dessen 80. Geburtstag, den »Indiana Jones des Rechts«. Wesels Bücher zur Rechtsgeschichte, wie die »Geschichte des Rechts« oder »Fast alles was Recht ist«, verschlang ich immer mit viel Genuss und Erkenntnisgewinn. Sie gerieten alle zu Bestsellern. Wesel war zugleich Autor in Zeitungen und Zeitschriften, schrieb für die »Zeit«, die »Kritische Justiz«, für das »Kursbuch« und war Justiziar des Schriftstellerverbandes PEN.

Nun hat er im hohen Alter eine überaus amüsant zu lesende, kurze und spannende Autobiografie voller ironischer Anekdoten verfasst. Es geht um seine Kindheit und Jugend im Nazi- und Nachkriegsdeutschland, aber auch um seine Hamburger Studienzeit mit den Studienfreunden Otto Schily und Meinhard von Gerkan. Später ging er nach München, habilitierte über Umwege und hätte in einer angesehenen konservativen Kanzlei arbeiten und viel Geld verdienen können, entschied sich aber für eine wissenschaftliche Laufbahn in Berlin. Von seinem potenziellen Münchner Arbeitgeber wurde er vor der »Frontstadt« gewarnt, er sollte nicht übersiedeln, denn »dort müssen Sie sich politisch entscheiden. Und Sie werden sich falsch entscheiden«. Man schrieb das Jahr 1968. Und da war er dann nun mittendrin in der Studentenrevolte, verkehrte in linken Kreisen, denn da seien die »schönen Frauen« zu finden. Wesel erlebte die Wiedervereinigung hautnah, dozierte dann auch an der Ostberliner Humboldt-Universität und hatte seinerzeit eine dezidierte, klare Meinung zum Honecker-Prozess.

Ein Leben in aufregenden Zeiten, mit spannenden, dramatischen Begebenheiten, mit großen Herausforderungen und Chancen. Die Autobiografie von Uwe Wesel bietet komprimiert deutsch-deutsche Zeitgeschichte.

Uwe Wesel: Wozu Latein, wenn man gesund ist? Ein Bildungsbericht. C. H. Beck, 149 S., geb., 24,95 €.

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