Einheit und Kampf der Gegensätze

Entwürfe von Studierenden für Rechenzentrum, Garnisonkirche und Haus der Demokratie

  • Wilfried Neiße, Potsdam
  • Lesedauer: 4 Min.

Beide Initiative waren rückwärtsgewandt: Die für den Wiederaufbau der barocken Garnisonkirche in Potsdam und die für den Erhalt des dort stehenden Rechenzentrums aus DDR-Tagen zielten auf die Wiedererrichtung von Vergangenem beziehungsweise den Erhalt von Überkommenem.

Nun wollen junge Leute an diesem Platz nach vorne blicken. »Entwürfe für das Haus der Demokratie - Ein dritter Ort im Spannungsfeld zwischen Garnisonkirche und Rechenzentrum« heißt eine Ausstellung, die am Mittwoch eröffnet wurde und Vorschläge für die künftige Gestaltung des Areals unterbreitet.

Neun Entwürfe von Studierenden der Universität Kassel sind Gegenstand der Schau, die im alten Rechenzentrum zu besichtigen ist. »Wieder einmal« sei das im ehemaligen Rechenzentrum etablierte Kunst- und Kreativhaus ein Ort des spannenden Diskurses, sagte Geschäftsführerin Anja Engel eingangs und sprach von einem Angebot, das »inspiriert und provoziert«. Potsdams studierende Jugend sei an den Stadtrand gedrängt worden, zu selten könne sie in der Innenstadt ihre Meinung zum Ausdruck bringen. Hintergrund ist der Beschluss des Stadtparlaments vom Januar, das Kirchenschiff der Garnisonkirche nicht zu bauen und das Rechenzentrum nicht abreißen zu lassen. Vielmehr soll ein »Haus der Demokratie« Turm und Rechenzentrum miteinander verbinden.

20 mit dem Thema befasste Studierende aus Kassel hatten sich bei einer dreitägigen Exkursion mit dem Ort und seiner Geschichte vertraut gemacht. Laut Begleitheft der Ausstellung hatten sie den Auftrag, mit einer Neugestaltung »den am Ort baulich manifestierten antidemokratischen Traditionen ein Freiheitsversprechen entgegenzusetzen«. Ihre unter diesen Maßgaben entstandenen Modelle heißen unter anderem Forum, Turm, Wolkenbügel, Black Box oder Parcours. Sie strahlen Unbefangenheit, Entdeckerfreude und Originalität aus, also das Gegenteil des in Potsdam Üblichen. Die Stadt gilt als die Residenz der preußischen Könige und präsentiert sich so mit ihren Schlössern und Gärten den Touristen aus aller Welt.

Für den Besucher der Ausstellung ist es eigenartig, in den Modellen den Turm der Garnisonkirche gleichsam vervielfältigt zu erleben. Eines haben alle Entwürfe gemeinsam: Sie sehen vor, den Turm der im Zweiten Weltkrieg bei einem Bombenangriff ausgebrannten und 1968 gesprengten Kirche nicht nach dem historischen Vorbild zu Ende zu bauen, sondern auf seinen »Helm«, das heißt seinen obersten Abschnitt, zu verzichten.

Universitätsprofessor Philipp Oswalt sprach von »ideologischen Konflikten« in der Stadt und an diesem Ort, wo historische Sachverhalte aufeinanderprallen. »Ursprünglich von einem rechtsradikalen Bundeswehroffizier initiiert, baut nun eine Stiftung unter den Stichworten ›Versöhnung‹ und ›Frieden‹ den Kirchturm äußerlich originalgetreu und vorwiegend vom Bund finanziert wieder auf«, erinnert Oswalt. Der Nachweis des fragwürdiges Gebarens bei der Finanzierung hatte vor einigen Monaten zum Aus für das Kirchenschiff geführt und zu dem Beschluss, das Rechenzentrum zu erhalten.

Die Ausstellung sei als »Gesprächsangebot an die Stadtgesellschaft« zu verstehen. Den Studierenden wurden laut Oswalt einerseits »relativ viele Freiheiten gelassen« und keine Tabus vorgesetzt, andererseits aber sehr enge Vorgaben gemacht. Denn sie sollten das von Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) angekündigte »Haus der Demokratie« auf engstem Raum (1800 Quadratmeter) in die Nachbarschaft von Kirchturm und Rechenzentrum integrieren.

Dabei tauchte dem Professor zufolge auch die Frage auf, ob der Plenarsaal des Stadtparlaments tatsächlich an diesem Ort »die richtige Idee« sei. Auch werfe der danebenstehende, halb fertige Kirchturm Fragen auf.

Falls er wirklich 88 Meter hoch mit der historischen Haube entstehen sollte, wäre er praktisch eine durch nichts optisch zu kompensierende Dominante. »Ein nötiges Gegengewicht zum hohen Kirchturm kann mit dem Neubau des Hauses der Demokratie nicht geschaffen werden.« Einzig der Entwurf Wolkenbügel, von Student Paul Ruhnau, der einen scheinbar schwebenden »Gürtel« um die Garnisonkirche vorsieht, könnte den angemessenen Rahmen schaffen. Aber Oswalt ist Realist: Das wäre »utopisch für die Stadtgesellschaft hier«.

Einige der Entwürfe sehen auch den teilweisen Abriss des Rechenzentrums vor, um dessen Erhalt jahrelang gestritten worden war. Das Zentrum »ist nicht unberührbar«, meinte Oswalt, doch sollte es als Gebäudekomplex »schlüssig« bleiben.

Geschäftsführerin Engel zufolge muss jetzt »viel geklärt« werden: Sollte das Rechenzentrum komplett erhalten werden oder nur ein »größtmöglicher Teil davon«? Außerdem stehe die ökologische Sanierung dieses DDR-Baus aus den 70er Jahren an. An die anwesenden Vertreter der Stadtverwaltung gewandt, schlug Engel vor, die Ausstellung im Rathaus vorzustellen. Sie kündigte eine Diskussion für den 28. April an. Oberbürgermeister Schubert habe seine Teilnahme zugesagt. Seite 9

Ausstellung im Rechenzentrum, Dortustraße 46 in Potsdam, bis 8. Mai, Do und So von 14 bis 18 Uhr.

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