Betroffene vorsichtig optimistisch

Verbände von Opfern hoffen auf die Unterstützung der neuen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs

  • Katja Spigiel
  • Lesedauer: 4 Min.

»Dieses Thema hört nicht auf. Sexualisierte Gewalt an Kindern ist in unserer Gesellschaft fest verankert«, mahnt Kerstin Claus. Das Bundeskabinett hat sie in das Amt der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBKSM) berufen. Damit ist sie die Nachfolgerin von Johannes-Wilhelm Rörig, der sein Amt nach elf Jahren niederlegt. Immer wieder machte er darauf aufmerksam, dass beim Thema sexuelle Gewalt »ohrenbetäubend geschwiegen« werde. Seine Worte waren deutlich, wirklich verändernde Taten folgten nicht.

Diese Hoffnung liegt jetzt bei der neuen, von der Regierung eingesetzten Beauftragten, Kerstin Claus. Sie ist selbst Missbrauchs-Betroffene, ihr Täter: ein evangelischer Pfarrer. Bei ihrem Amtsantritt sagte Claus, dass die Perspektive von Betroffenen dringend nötig sei, um das Thema »begreifbar« zu machen. Sie betont: »Nur wer verstanden hat, was Kinder mit sich tragen und wie Biografien durch sexualisierte Gewalt ein Leben lang beeinflusst werden, nur der ist wirklich bereit, etwas dafür zu tun, dass sexueller Missbrauch effektiv bekämpft wird.« Der Betroffenenrat - ein ehrenamtlich tätiges Gremium, das die UBSKM berät, begrüßt die Personalie. Auch Jens Windel, verantwortlich für die Gründung der Betroffeneninitiative des Bistums Hildesheim und Mitglied im Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz, befürwortet die Wahl.

Papst Franziskus mahnte einst, dass Kindesmisshandlung eine »Art ›psychologischer Mord‹ und in vielen Fällen eine Auslöschung der Kindheit« sei. Für Windel müssten bei der Missbrauchsaufarbeitung zwei Dinge zentral sein: Mord verjähre nicht und so dürfe es bei Kindesmissbrauch auch nicht sein. Ein Gesetz müsse anordnen, dass Verjährungsfristen entfallen, die aktuell bei etwa 20 Jahren liegen. Und Schmerzensgelder müssten angepasst werden. »Die Deutsche Bischofskonferenz verweist gerne auf diese Gelder. Die wurden aber seit über 20 Jahren nicht mehr angehoben«, so der 47-Jährige im Gespräch mit »nd«.

Windels Engagement gleicht einem Fulltime-Job. Mit Aktionsbündnissen macht er auf die fehlende Bereitschaft zur Aufarbeitung in der katholischen Kirche aufmerksam. Als Kind erlebte er selbst im kirchlichen Kontext einen Missbrauch. Der Hildesheimer sieht, dass die Politik die Verantwortung der Täterin überlasse, also der Kirche. Sobald neue Missbrauchsfälle aufkommen, stünden Bischöfe »wie ein Lamm vor der Kamera und sind ›ohnmächtig‹, in Arbeitsgruppen merkt man kaum Veränderungen«. Die Fälle in der Kirche hätten seiner Ansicht nach System. Betroffene Personen seien mit einer »Übermacht und hochkarätigen Anwälten« konfrontiert. Wahrscheinlich laufe ein unfairer Prozess mit eingeschränkter Akteneinsicht ab, und wenn es zu einer Entschädigung komme, dann spiegle sie in keinster Weise das Durchlebte wider. »Der Täter ist gleichzeitig der Richter.« Deshalb müsse sich die Politik einmischen.

Claus als neue Beauftragte einzusetzen, sei ein guter Ansatz. Windel sagt: »Ich hoffe, dass sie stark genug ist, um Akzente zu setzen. Und dass sie am Ball bleibt und nicht zurücksteckt, weil sie nicht unbequem sein möchte, oder es sich politisch nicht verspielen will.« Eine Prognose für ihre Amtszeit möchte er nicht geben. »Das liegt daran, dass ich schon viel zu oft enttäuscht wurde.« Vorsichtig zuversichtlich könne man aber sein. Für ein Gespräch mit »nd« stand Claus nicht zur Verfügung. Sie wolle erst in ihrem Amt ankommen und sich einarbeiten.

Die Ampel-Regierung zeigt sich in ihrem Koalitionsvertrag offen für einen angemessenen Umgang mit Betroffenen und für ausgeprägten Kinderschutz. Von Prävention, kindersensibler Justiz und Entwicklung von Schutzkonzepten ist die Rede. Die Arbeit des USBKM soll gesetzlich festgeschrieben und eine Berichtspflicht gegenüber dem Bundestag soll eingeführt werden. Laut Rörig sei der Koalitionsvertrag »ein großer Fortschritt« für sein ehemaliges Amt. »Aber Formulieren kann man viel«, meint Windel. »Ich sage einfach mal: Der Wille zu Veränderungen ist einfach nicht da. Sonst hätte man das schon längst angegangen. Es ist bequem, irgendwas einzuwerfen, was man nicht angeht.« Aus ihm dürfte die Enttäuschung über die vorausgegangen Regierung sprechen. Da sei »rein gar nichts passiert«. Konkreteres - oder auch nur Gesprächsangebote mit Betroffenenverbänden - habe es von Seiten der neuen Regierung noch nicht gegeben. Windel erklärt, dass man sich im Grunde so fühle, als ob man ständig gegen eine Mauer renne.

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