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  • Deutsche Wohnen & Co enteignen

Sozialisierungskommission komplettiert

Expertenrat tritt unter Beteiligung von Deutsche Wohnen & Co enteignen Ende April erstmals zusammen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) den Weg zur Sozialisierung freimachen wird.
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) den Weg zur Sozialisierung freimachen wird.

Die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen wird sich beteiligen an der im rot-grün-roten Koalitionsvertrag vereinbarten »Expertenkommission zur Prüfung der Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksbegehrens«. Das haben über 200 Aktive der Initiative nach intensiven Beratungen mit großer Mehrheit beschlossen, wie Sprecherin Veza Clute-Simon bei einer Online-Pressekonferenz am Mittwochmorgen sagt.

Auf dem selben Plenum wurde auch beschlossen, wen die Initiative in die Kommission entsendet. Es sind die Humangeografin Susanne Heeg, Professorin für Geografische Stadtforschung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Außerdem Anna-Katharina Mangold, Professorin für Europa- und Völkerrecht an der Europa-Universität Flensburg sowie Tim Wihl, Vertretungsprofessor für Öffentliches Recht und neuere Rechtsgeschichte an der Universität Erfurt.

Damit hat die Initiative zwei weitere Verfassungsrechtler*innen in die Kommission entsandt, was angesichts der deutlichen Kritik am Übergewicht von Jurist*innen, die Deutsche Wohnen & Co enteignen am bereits bekannten, von der Koalition benannten Personaltableau geübt hatte, zumindest überraschend ist. »Es handelt sich hier nicht ausschließlich um eine juristische, sondern vor allem eine politische und soziale Frage«, kritisierte Initiativensprecher Moheb Shafaqyar im März.

»In der Tat hatten wir im Voraus kritisiert, dass der Senat vor allem Jurist*innen benannt hat und dabei auch explizite Gegner*innen der Vergesellschaftung«, räumt Veza Clute-Simon ein. Man habe sich aber nun »auf die Kommission, wie sie ist, eingelassen« und mit der eigenen Mischung darauf reagiert. Sie erklärt, dass auch beispielsweise Fragen der Entschädigung ebenfalls juristischer Natur seien. Tatsächlich hatte die für die Verhandlungen mit der Koalition zuständige Kontaktgruppe nach nd-Informationen in einem früheren Plenum sogar drei Verfassungsrechtler*innen vorgeschlagen, was allerdings abgelehnt worden ist.

»Wir glauben, dass sie wichtige Perspektiven in die Kommission einbringen werden«, sagt Initiativensprecherin Isabella Rogner zu den drei nun benannten Expert*innen . Mit Susanne Heeg sei nun auch das Fachgebiet der Stadtforschung und Wohnungsökonomie in der Kommission vertreten. Darauf lege die Initiative »besonderen Wert«, auch und vor allem »in Bezug auf die Frage der Umsetzung des Volksentscheids und auch in Bezug auf die Ausgangsbedingungen des Wohnungsmarkts, vor dessen Hintergrund die Initiative und der Volksentscheid entstanden sind«, so Rogner weiter.

Erstmals Zusammentreten soll der Expert*innenrat am 29. April. Fragen der Transparenz der Arbeit und des genauen Umgangs mit Mehrheits- und Minderheitenvoten, die explizit vorgesehen sind, müssen abschließend in der noch zu erarbeitenden Geschäftsordnung von den – inklusive der Vorsitzenden, der ehemaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) – 13 Mitgliedern geklärt werden.

»Eigentlich war ganz klar: Wir wollten diese Kommission nicht. Wir wollten die sofortige Erarbeitung eines Gesetzes«, erläutert Veza Clute-Simon noch einmal die Position der Initiative. Die Berliner*innen hätten beim Volksentscheid bereits entschieden. »Die Aufhebung juristischer Fallstricke wäre auch Teil eines ganz normalen Gesetzgebungsprozesses gewesen«, unterstreicht sie. Zum Kommissionsauftrag gehört auch die Prüfung des bereits von Deutsche Wohnen & Co enteignen erarbeiteten Gesetzesvorschlags sowie des vorgeschlagenen haushaltsneutralen Finanzierungsmodells für die Entschädigungen. »Wir wollen ein sicheres Vergesellschaftungsgesetz«, benennt Clute-Simon den Anspruch. Gefordert werde weiterhin größtmögliche Transparenz. »Die Berliner Mieter*innen haben ein Recht darauf, zu erfahren, was in dieser Kommission diskutiert wird, in der es um ihr Zuhause geht«, sagt die Aktivistin.

Zusätzlich steht den Kommissionsmitgliedern noch ein Budget für die Beauftragung externer Gutachten zur Verfügung. Nach Isabella Rogners Kenntnisstand beläuft es sich für dieses und kommendes Jahr auf zusammen 550 000 Euro. »Wir hoffen, dass das insbesondere für wohnungswirtschaftliche Expertise herangezogen wird«, sagt sie.

Er freue sich sehr, dass sich auch die Initiative an der Kommission beteiligt, erklärt Niklas Schenker, mietenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Mit den nun benannten Expert*innen werde die Kommission ihrem Untersuchungsauftrag besser gerecht. »Als Linke werden wir die Kommission eng und aktiv begleiten, übersetzen, was dort passiert und dafür Sorge tragen, dass der Untersuchungsauftrag vollumfänglich erfüllt wird«, verspricht er. Seine Partei sei »davon überzeugt, dass Vergesellschaftung der richtige Weg ist, um dauerhaft bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und die Wohnungsversorgung zu demokratisieren«.

»Der erste Schritt hin zur gemeinsamen Umsetzung ist mit der Entsendung der Expert*innen durch die Initiative getan«, zeigt sich auch Grünen-Mietenexpertin Katrin Schmidberger erleichtert. »Dank der Initiative werden jetzt alle Wege geprüft und konkrete Empfehlungen des ›Wie‹ beispielsweise bei der verfassungsfesten Entschädigungsberechnung erarbeitet«, sagt sie zu »nd«.

Die Sozialisierungsinitiative kündigt eine intensive öffentliche Begleitung der Kommissionsarbeit an. Dazu soll auch eine große Vergesellschaftungskonferenz am Himmelfahrtswochenende Ende Mai veranstaltet werden. Es solle dort auch darum gehen, »das Thema Vergesellschaftung weiterzudenken«, sagt Aktivistin Veza Clute-Simon. Seit einigen Jahren fordern bundesweit Initiativen etwa auch die Sozialisierung von Krankenhäusern. Der von der Kommission als Experte benannte Jurist Tim Wihl äußerte sich auf einer Podiumsdiskussion am Montag ebenfalls in dieser Richtung. »Nur über die Gemeinwirtschaft kommt man weg vom Wachstumszwang«, sagt er in Bezug auf die Umweltauswirkungen des kapitalistischen Wirtschaftssystems.

»Am Ende wird es eine politische Entscheidung werden. Deswegen waren wir ursprünglich gegen diese Expert*innenkommission«, sagt Clute-Simon. »Zentral ist für uns, den politischen Druck aufrechtzuerhalten.«

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