Hochstaplerin unter Cowboy-Investoren

Elizabeth Holmes galt als weiblicher Steve Jobs - bis sich ihr Biotech-Unternehmen als Fake erwies. Mit »The Dropout« erzählt Disney+ in acht Teilen von Aufstieg und Fall der Hoffnungsträgerin

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Zielstrebig auf dem Weg nach oben, ohne Rücksicht auf die Realität: Amanda Seyfried als Unternehmerin Elizabeth Holmes 
in der Serie »The Dropout«
Zielstrebig auf dem Weg nach oben, ohne Rücksicht auf die Realität: Amanda Seyfried als Unternehmerin Elizabeth Holmes 
in der Serie »The Dropout«

Hochstapler, was für ein reizendes Wort für Kriminelle, die arglose Menschen um ihre - ähnlich schön: - Habseligkeiten erleichtern. Hochstapeln klingt nett nach Kinderzimmer, auf kühne Art verspielt, weshalb wir Betrügern seit Thomas Manns charmantem Felix Krull mehr Sympathie entgegenbringen als ihren Jägern aus der grauen Bürokratie. Seit Kurzem etwa versetzt Netflix den Ehrendieb Arsène Lupin aus der Gamaschen- in die Turnschuh-Ära. Dazwischen hat uns der Hitler-Fälscher Konrad Kujau mal wieder zum Lachen gebracht.

Und als die deutsch-russische Blenderin Anna Sorokin den New Yorker Jetset kürzlich ebenfalls für Netflix betrogen hat, wurde klar: selbst junge Frauen mit Rehblick taugen nun zur dunklen Seite der Unterhaltungsmacht. Apropos Rehblick: Elizabeth Holmes hat Manga-Augen, groß wie Tischtennisbälle. Wenn der neue Star am Hochstaplerinnenhimmel damit zu Beginn ihrer Biopicserie »The Dropout« vom Bildschirm blickt, kann man daher kaum glauben, dass sie im Gerichtssaal sitzt und viermal 20 Jahre Haft erwartet.

Dabei galt Elizabeth Holmes 2015 als weiblicher Steve Jobs, die feminine (allerdings nicht feministische) Hoffnung der männlichen (sehr maskulinen) New Economy. Ein Testgerät für den Hausgebrauch, das mit ein paar Millilitern Blut angeblich 240 Krankheiten diagnostiziert, katapultierte ihr Start-up Theranos in die Topliga der Biotechnologie und seine Gründerin auf die »Time«-Liste der 100 einflussreichsten Personen weltweit. Amerikas Traum vom Aufstieg für alle: In Gestalt dieser zierlichen Selfmade-Milliardärin aus Houston schien er Wirklichkeit zu werden.

Bis zum Absturz. Showrunnerin Elizabeth Meriwether - groß geworden mit der Fox-Sitcom »New Girl« - erzählt Aufstieg und Fall ihrer Namensvetterin vom Ende her, denn ihr »Edison« konnte allenfalls Herpes diagnostizieren, und dessen Erfinderin wusste das. Ob sie illegal gehandelt habe, will der Richter zwei Jahre nach ihrem Gipfelsturm wissen, blickt in panische Augen und erntet für seine Frage nach den Gründen nur Schweigen. Dafür antwortet der Achtteiler seit Mittwoch jeweils rund 50 Minuten bei Disney+ und bringt Licht ins Dunkel einer Frau, die nach oben will. Koste es, was es wolle.

Schon während der Fahrten zur Schule lernt Elizabeth Holmes schließlich Chinesisch. Als Vater Nick (Michel Gill) seinen Job beim seinerzeit ebenso hochgehandelten und tief gefallenen Energiekonzern Enron verliert, wird ihr Ehrgeiz nur noch angestachelt. Sie wolle ebenso reich werden, »aber mit mehr Sinn«, kriegt der befreundete Pharma-Investor (William H. Macy) unterm Christbaum zu hören. Alles - das zeigt auch ihr Stanford-Studium, bei dem die Anfängerin immer drei Schritte auf einmal nimmt - deutet bei ihr auf schnellen Erfolg auf ethischer Grundlage hin.

Diesen Überzeugungseifer spielt Amanda Seyfried mit einem Paar unablässig aufgerissener Augen. Elizabeth Holmes, so lernen wir vom Hinterhofbüro im schäbigsten Eck des Silicon Valley bis auf den Campus für 800 Angestellte, hat Visionen und ist bereit, alles dafür hintanzustellen. Auch die Realität. Kein Wunder. Denn wie uns reale Randfiguren vom Cowboyhut-Finanzier Don Lucas (Michael Ironside) bis zum Software-Krösus Larry Ellison (Hart Bochner) lehren, springt die Nichtschwimmerin in ein Becken männlicher Haie, die null Interesse an Konkurrenz mit doppeltem X-Chromosom haben.

So erzählt Elizabeth Meriwether nicht von einer ambitionierten Frau, der es parallel zu Obamas Gesundheitsreform glaubhaft um Heilung geht, sondern ebenfalls von einer Shareholder-Ökonomie testosterontriefender Egos, die aus Träumen Albträume macht. Wie Amanda Seyfried die Zerrissenheit zwischen Ethos und Opportunismus buchstäblich verkörpert, wie sie damit die Verletzungen einer gemobbten Jugend kompensiert, wie sie selbst mutterseelenallein im Auto ständig überzukochen droht, unter den Alpharüden ihrer elitären Blase aber trotzdem die Contenance wahrt - das ist schlichtweg brillant.

Auf Basis von Rebecca Jarvis’ gleichnamigem Podcast erzählt »The Dropout« also von Sollbruchstellen einer Leistungsgesellschaft, die besonders für Frauen spröde sind. Dass der hier auch noch die Lovestory mit dem älteren Sunny Balwani (Naveen Andrews) ins Drehbuch geschrieben wurde, passt da zwar ins misogyne Bild, zählt aber zu den Standards der Fernsehunterhaltung.

Im September dieses Jahres wird das Urteil gegen Elizabeth Holmes erwartet. Mitangeklagt: der Finanzkapitalismus junger alter weißer Männer. Gerichtet wird jedoch nur die Frau.

»The Dropout« läuft auf Disney+

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