»Gefährlicher und feindseliger«

Vertreterinnen des philippinischen Journalistenverbandes NUPJ über die schwindende Pressefreiheit im Land

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie schätzen Sie die Pressefreiheit auf den Philippinen kurz vor den Präsidentschaftswahlen am 9. Mai ein?

Jhoanna Ballaran (JB): Um die Pressefreiheit steht es wirklich schlecht. Nicht nur aktuell, sondern vor allem auch mit der Aussicht einer Präsidentschaft von Ferdinand Marcos Jr. Das News-Portal Rappler war bereits Angriffen ausgesetzt, der Fernsehsender ABS-CBN wurde 2020 auf Anordnung der Regierung von Rodrigo Duterte geschlossen. Seit Beginn des Wahlkampfes haben sogar Druck und Angriffe auf die Mainstreammedien spürbar zugenommen. Doch das alles könnte nur eine Vorstufe dessen sein, was uns bevorsteht, wenn Marcos tatsächlich die Wahl gewinnen sollte.

Interview
Len Olea arbeitet für Bulatlat, das älteste Onlinemedium der Philippinen. Jhoanna Ballaran war lange für die führende Tageszeitung »Philippine Daily Inquirer« tätig und ist seit 2018 Manila-Korrespondentin einer japanischen Nachrichtenagentur. Beide gehören zum Vorstand der National Union of Philippine Journalists (NPUJ), Len Olea ist deren Generalsekretärin. Mit ihnen sprach Thomas Berger über Repressalien gegen Reporter in ihrem Land.

Len Olea (LO): Seit Oktober laufen zudem Verleumdungsklagen gegen Journalisten, eingereicht von lokalen Politikern, die mit dem Marcos-Lager verbunden sind. Zudem gibt es Cyberangriffe auf Medien.

Am 10. Dezember 2021 wurde der Journalist Jesus Malabanan in seiner Wohnung erschossen. Es war der 22. Mord an einem Medienvertreter in der sechsjährigen Amtszeit von Präsident Rodrigo Duterte. Malabanan, Reporter für »Manila Times« und »Manila Standard«, hatte auch an einem Reuters-Bericht über den Drogenkrieg von Präsident Rodrigo Duterte mitgewirkt, der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Angesichts solcher Morde: Wie gefährlich ist journalistisches Arbeiten in den Philippinen?

LO: Es ist in der Tat sehr viel gefährlicher und feindseliger geworden. Regierungsstellen sind dazu übergegangen, alle Kritiker als »terroristisch« zu brandmarken. Das trifft auch Journalist*innen. Ich nenne nur zwei Beispiele. Bereits am 7. Februar 2020 wurde Frenchiemae Cumpio in Tacloban festgenommen. Sie ist noch immer in Haft. Am 10. Dezember 2020, pikanterweise der Internationale Tag der Menschenrechte, traf es Lady Ann Salem vom Portal Manila Today. Beiden wurde unterstellt, sie seien hochrangige Mitglieder der kommunistischen CPP-Guerilla. Waffen und Sprengstoff, die die Polizei fand, waren von dieser selbst unter Tisch und Bett platziert worden. In Salems Fall hat ein Gericht die Vorwürfe als haltlos erkannt und im März 2021 die Anklage abgewiesen.

Das schon erwähnte unabhängige Nachrichtenportal Rappler wurde von Duterte zum Ziel seiner persönlichen Feindschaft gemacht. Allerdings hat Gründerin und Chefredakteurin Maria Ressa vergangenen Dezember den Friedensnobelpreis erhalten. Ist das hilfreich für Ihren Kampf gegen die Repressalien, denen Kolleg*innen in Ihrem Land ausgesetzt sind?

JB: Ja, das hilft sehr. Es rückt die Philippinen ins Rampenlicht, macht die Probleme öffentlich, unter denen wir hier leiden, richtet die Augen der Welt auf die hiesigen Zustände. Allerdings ist das, was sich an gefährlichen Entwicklungen vollzieht, nicht nur die Verfolgung durch die Behörden. Es geht auch um Fake News, um Desinformation. Man behandelt uns zunehmend als Feinde des Staates. Viele andere Journalisten im Lande werden täglich drangsaliert und angefeindet. Hier in der Hauptstadt lässt sich vieles ja noch aushalten. Doch unsere Kolleg*innen in den Provinzen sind oft weitaus schlimmer dran.

Die Philippinen sind demografisch ein sehr junges Land, die Bevölkerung ist überdurchschnittlich in den sozialen Netzwerken aktiv. Ist das ein weiteres Problem für traditionellen, seriösen Journalismus?

JB: Ja. Zugespitzt gesagt: Die Leute glauben uns einfach nicht mehr, sondern all diesen Propagandisten, die sich da im Netz tummeln. Viele können auch Propaganda von echten Nachrichten nicht mehr unterscheiden. Und nicht zuletzt aufgrund dieser gezielten Desinformation wählt das Land nun voraussichtlich einen Präsidenten, dessen Persönlichkeit, vorsichtig ausgedrückt, zumindest fragwürdig ist.

LO: Es gibt nicht nur im Marcos-Lager explizite, gut geölte Mechanismen, um Journalismus zielgerichtet zu diskreditieren. Schon ab Tag eins der Duterte-Präsidentschaft waren solche Trolle am Werk, die normale Medienarbeit stören und untergraben. Auch der jetzige Aufstieg von Marcos Junior ist ein Erfolg von Desinformationskampagnen. Die Familie und ihre Getreuen verfügen ja über jede Menge unrechtmäßig erworbenes Vermögen, das sie nutzen, um über Massenkanäle wie TikTok, Youtube und Facebook die öffentliche Meinung zu steuern.

JB: Es ist für normale Journalisten auch schwierig, an Marcos heranzukommen. Man läuft da wie gegen eine Wand. Er wird gezielt abgeschirmt gegen Medienvertreter. Wir werden als Berichterstatter*innen teilweise von den Wahlkampfplätzen ausgesperrt, uns werden gezielt Informationen zu Terminen und dergleichen vorenthalten. Und wenn wir unliebsame Fragen stellen, weicht er schlicht aus. Wenn er jetzt schon so pressefeindlich agiert: Was ist dann erst zu erwarten, sollte er der neue Präsident werden?

Das Repräsentantenhaus hat bereits mit Mehrheit ein Gesetz zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern gebilligt, das derzeit im Senat festhängt. Vorausgesetzt, auch dieser stimmt zu: Wird das helfen?

LO: Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Doch was nützen einzelne Gesetze, wenn in der Politik generell die Militarisierung voranschreitet, immer mehr Menschen pauschal als Terroristen eingestuft werden? Die Philippinen haben ja viele internationale Menschenrechtsvereinbarungen unterzeichnet. Doch die Frage ist, wie das im Alltag umgesetzt wird. Uns ist klar: Wenn Marcos Präsident wird, sieht es um die Menschenrechte in den nächsten Jahren noch düsterer aus als jetzt schon.

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