Exportschlager Arbeitskraft

Viele Filipinos sichern mit Jobs im Ausland ein höheres Familieneinkommen. Corona änderte nur temporär etwas daran

  • Thomas Berger, Manila
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie heißen Forza Global Services, Errx Recruitment, JTC International Manpower Services oder Silver Skilled Recruitment - und haben ihren Sitz zum Beispiel in den kleinen Seitenstraßen der Taft Avenue im Stadtteil Malate im Herzen der philippinischen Hauptstadtmetropole Manila. Vereinzelte Männer, vor allem aber Frauen sitzen im Warteraum und teilweise auch vor dem Eingang - in der Erwartung, dass die Reihe der Abfertigung bei ihnen anlangt. Große Tafeln draußen verraten, was gesucht wird: insbesondere Reinigungskräfte, Servicepersonal im Gastronomiebereich und natürlich Haushaltshilfen - für Katar, Oman, Malaysia, Kuwait, Bahrain, Saudi-Arabien, Singapur und sogar für Rumänien im fernen Europa.

Nicht nur Errx Recruitment wirbt mit kostenloser Hilfe bei Passbeantragung, den medizinischen Untersuchungen, Flugticket und Transport bis zum Airport. Bei anderen Agenturen sieht der Service ähnlich aus. Einige warnen mit Schildern ebenso deutlich vor fragwürdigen Alternativen, die günstiger scheinen mögen: »Vorsicht vor Menschenhändlern!« Die Warnung kommt nicht von ungefähr. Allein 2021 retteten die philippinischen Behörden 688 Betroffene, die schon im Zielland waren, 13 680 Personen wurde am Flughafen die Ausreise verweigert, weil die notwendigen Papiere nicht vorlagen oder es andere Verdachtsmomente gab.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Die Coronakrise hat auch beim Exportgut menschliche Arbeitskraft von den Philippinen in die Golfstaaten oder reichere Gegenden der südostasiatischen Nachbarschaft für starken Rückgang gesorgt. Lag die Zahl der Overseas Working Filipinos (OFW), wie diese Gruppe amtlich genannt wird, vor der Pandemie im Schnitt bei 2,2 bis 2,3 Millionen pro Jahr, fanden 2020 nur rund 550 000 Personen aus dem Inselstaat im Ausland eine Anstellung oder konnten einen bestehenden Job behalten. 2021 waren es 676 000.

2018 haben die nationale Statistikbehörde PSA und die University of the Philippines erstmals eine umfassende Studie zum Thema Arbeitsmigration erstellt. Eine der zentralen Erkenntnisse: Zwölf Prozent aller Haushalte hatten mindestens ein Mitglied, das entweder aktuell im Ausland arbeitete oder dies in jüngerer Zeit getan hat. Am höchsten war der Anteil mit 24 Prozent in der Autonomen Region Muslim Mindanao, einem Teil der zweitgrößten Insel im Süden.

Dies ist aus zwei Gründen nicht verwunderlich. Einerseits handelt es sich um eine vergleichsweise arme Region. Andererseits fällt den Menschen aus diesen muslimisch dominierten Landstrichen die kulturelle Anpassung in den Zielländern, die oft islamische Nationen sind, leichter als Philippin*innen aus der katholischen Mehrheitsgesellschaft. Aber auch aus der Hauptstadtregion (17 Prozent) oder Ilocos weiter nördlich auf der größten Insel Luzon (16 Prozent) sind die Werte überdurchschnittlich.

Dass statistisch jede*r zweite Einwohner*in der Philippinen im Leben schon einmal umgezogen ist, wie die Studie ermittelte, mag viele Gründe haben. Arbeit zu finden, die die Familie angemessen ernährt, steht aber ganz oben auf der Liste, um schon von einer der vielen Inseln mit oft weniger Chancen in den Großraum Manila überzusiedeln, wo es eher einen ordentlichen Job geben mag. Oft ist diese Hoffnung jedoch trügerisch, und im Ausland lockt die Aussicht, in einem halben oder ganzen Jahr mehr zu verdienen als daheim möglicherweise in fünf. Dafür nehmen viele Bürger*innen der Philippinen sogar in Kauf, ihre Familie in dieser Zeit gar nicht zu sehen. Ein Heimatbesuch zwischendurch gehört in der Regel nicht zum Stellenangebot - und schmälert den finanziellen Ertrag enorm.

Die Heimatüberweisungen der Arbeitsmigrant*innen sind nicht nur für ihre Familien von Bedeutung. Sie machten im vergangenen Jahr 9,66 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Das ist nach Indien der zweithöchste Wert weltweit. Fast 12 Milliarden Dollar kamen im ersten Coronajahr trotz geringerer Zahlen aus den USA, 21,5 Milliarden aus Singapur, 1,8 Milliarden aus Saudi-Arabien und 820 Millionen aus Hongkong. Ob Seeleute, Krankenschwestern, Bauarbeiter oder Haushaltshilfen - Arbeitsmigration bleibt auch in Pandemiezeiten für die Philippinen bedeutsam.

Allerdings gab es zuletzt vermehrte Kritik: Der Staat tue zu wenig, um Grundrechte zu sichern und die Migrant*innen in den Zielländern zu schützen, heißt es in einer Erklärung von Migrante International, die die Dachorganisationen von Gruppen in 24 Ländern für den UN-Menschenrechtsrat erstellt und Mitte April veröffentlicht hat. Verwiesen wird zudem darauf, dass Institutionen der scheidenden Duterte-Administration Migrante International und ihre Einzelverbände wegen angeblicher Verbindungen zu den kommunistischen Rebellen (CPP/NPA/NDF) als »terroristisch« diffamierten.

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