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Kein Stimmrecht trotz dauerhaftem Wohnsitz

Heinrich-Böll-Stiftung macht mit symbolischer Landtagswahl auf die Benachteiligung von Migranten aufmerksam

  • Dieter Hanisch
  • Lesedauer: 3 Min.

Rund 2,317 Millionen Schleswig-Holsteiner haben bei der anstehenden Landtagswahl ein Stimmrecht. Voraussetzung ist ein deutscher Pass und das Erreichen des 16. Lebensjahres. Doch ein nicht unerheblicher Personenkreis bleibt von der Wahl ausgeschlossen.

Die Rede ist von den Menschen, die seit vielen Jahren ihr Zuhause im Land zwischen den Meeren haben: Personen mit ausländischem Pass oder Staatenlose. Um auf diese mittlerweile jahrzehntelange andauernde Ausgrenzung aufmerksam zu machen, hat die grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung zusammen mit dem Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein in drei Städten symbolische Wahlen abgehalten. Das damit verbundene Zeichen, sich für eine Ausweitung des Wahlrechts – orientiert am Aufenthaltsort und nicht am Passdokument und der Herkunft – stark zu machen, soll dabei die im Mittelpunkt stehende Botschaft an die politischen Entscheidungsträger sein. Weniger wichtig ist dagegen das tatsächlich ermittelte symbolische Wahlergebnis, das ohnehin keinen repräsentativen Charakter erreicht.

Neben den Stimmabgaben in Kiel, Neumünster und Geesthacht war auch ein Online-Votum möglich. In Neumünster sind dafür eine originale Wahlkabine und ‑urne mitten in der Innenstadt aufgestellt worden, begleitet vom Sozialdienst Muslimischer Frauen (SMF), dessen Mitarbeiterinnen für Fragen und Gespräche rund um die Aktion zur Verfügung standen. Während es von den drei Ständen in Kiel hieß, es habe keinerlei Zwischenfälle gegeben, berichtet SMF-Projektleiterin Britt Köster von vereinzelten rassistischen Bemerkungen durch deutsche Passanten. Ein symbolischer Wähler aus Kiel-Mettenhof begrüßte die Aktion: »Ich wohne und arbeite schon seit 47 Jahren hier in Deutschland und besitze immer noch kein Wahlrecht.« Aus Neumünster stammt die Beobachtung, dass sich mehr Männer als Frauen für eine Stimmabgabe entschieden haben. Laut Köster fanden sich unter anderem Personen aus Jemen, Syrien, Türkei und der Ukraine an der Wahlurne ein.

Hohen Besuch erhielt der Aktionstand in Neumünster in Person von Aminata Touré, eine der beiden Spitzenkandidatinnen der Grünen und in der nun abgelaufenen Legislaturperiode stellvertretende Landtagspräsidentin. In Kiel schaute der SPD-Bundestagsabgeordnete Mathias Stein an einem Stand vorbei. Natalie Demmer aus dem Organisationsteam in Kiel bedauerte dabei vor allem die geringe Wertschätzung des Standorts im Stadtteil Mettenhof, wo sich von den etablierten Parteien niemand blicken ließ.

Selbstkritisch räumte das Kieler Organisationsteam ein, dass die hohe Zahl ungültiger Stimmen als Rücklauf (66 Erst‑, 52 Zweitstimmen) eindeutig darauf hindeutet, dass die unterschiedliche Bedeutung von Erst- und Zweitstimme im Wahlrecht noch besser hätte erklärt werden müssen.

Als Aufklärung diente ein Muster-Wahlzettel, dazu in unterschiedlichen Sprachen die Basisinformationen zum Wahlrecht in Papierform beziehungsweise als digitaler QR-Code. Zu allen 16 vom Landeswahlleiter zugelassenen Parteien erfolgte eine Kurzinfo anhand der Beschreibungen durch die Bundeszentrale für politische Bildung.

Insgesamt über 250 abgegebene Wahlzettel dokumentieren für Natalie Demmer das politische Interesse und den Wunsch an Teilhabe sowie Mitwirkung für diese hier lebende, aber ausgegrenzte Bevölkerungsgruppe. Die einzige Ausnahme im Wahlrecht bieten die Kommunalwahlen, bei denen ebenfalls ab 16 gewählt werden darf und als Herkunft dann auch die Mitgliedschaft in der Europäischen Union den Weg zu einem Stimmzettel frei macht.

Obwohl die von der Böll-Stiftung durchgeführte symbolische Wahl nicht repräsentativ ist, lohnt ein kurzer Blick auf das ermittelte Endergebnis. Es unterscheidet sich deutlich von den Umfragen zur Landtagswahl. Bei den Zweitstimmen hatte die SPD mit 31,4 Prozent die Nase vorn. Dahinter landeten die Grünen (22,1) knapp vor der CDU (21,6) und deutlich vor der Linken (6,9) und der AfD (4,4), die es bei dieser simulierten Wahl nicht mehr in den Kieler Landtag schaffen würde.

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