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Von Demokratie ist in Hongkong nichts mehr zu spüren
Vor den Wahlen für einen neuen Regierungschef steht der Sieger schon fest und liegt ganz auf der Linie der Regierung in Peking
»Hallo an die unterdrückten Menschen in Hongkong!«, verkündet Howard X mit strenger Stimme in seinem Bewerbungsvideo. »Hiermit erkläre ich meine Absicht, mich für die Wahl zum Chief Executive zur Verfügung zu stellen.« Der Mann, der in Australien und Hongkong aufwuchs und eine verblüffende Ähnlichkeit zu Nordkoreas Regierungschef Kim Jong-un hat, ist kein Unbekannter: Als Kim-Double hat er die vergangenen Jahre nicht nur den nordkoreanischen Diktator verulkt, sondern auch diverse andere undemokratische Staatschefs. In Hongkong ist er ein Promi.
»Ich habe meine Unterlagen eingereicht«, erklärte Howard X in einem Mitte April auf Youtube veröffentlichten Video, in dem er die oft militante Rhetorik von Kim Jong-un nachahmt. Nun wolle er, als Kim-Double prädestiniert für hohe Positionen, den wichtigsten Job in der Hongkonger Politik. Was der Satiriker sagen will, ist offensichtlich: Wenn Hongkong am 8. Mai ein neues Regierungsoberhaupt wählt, handelt es sich keineswegs um eine Wahl im demokratischen Sinne. Sie ähnele eher Chinas Nachbarland Nordkorea: Von Freiheit keine Spur.
Tatsächlich steht der Sieger der Wahl vorab fest – nicht, weil die Kandidatur von Howard X nicht zugelassen wurde, sondern weil überhaupt nur ein einziger Mann zur Wahl steht: John Lee, ein hoher Beamter der Hongkonger Bürokratie und Weggefährte der nach fünf Jahren aus dem Amt scheidenden Carrie Lam. Somit ist vor dem Wahltag am Sonntag schon quasi amtlich: Der neue Chief Executive, der Regierungschef von Hongkong, heißt John Lee.
Entsprechend grotesk ist der Wahlkampf. Seine Wahlkampfveranstaltungen hielt er zuletzt nicht in der Öffentlichkeit ab, sondern hinter verschlossenen Türen. Sein Kampagnenmanager Tam Yiu-chung erklärte: »Das größte Problem ist, dass wir die Pandemie haben, sodass wir überlegen müssen, was wir alles tun können, ohne Einfluss auf die Pandemie zu nehmen.« Dabei entsteht der Eindruck, dass Lee Volksnähe lieber vermeidet, weil seine Popularität begrenzt ist.
John Lee fährt außer Konkurrenz
John Lee zählt zu den pekingnahen Politikern und steht damit für jenes Regime, das über die vergangenen zwei Jahre gegen erbitterte Proteste einer großen Mehrheit in Hongkong aus einer ohnehin lückenhaften Demokratie eine Pseudodemokratie gemacht hat. Wie sehr Lee für den Status quo steht, verdeutlicht seine Vorstellung von der anstehenden Amtszeit: »Politische Reform wird keine Priorität in der sechsten Legislatur der Regierung sein.« Was den Schutz von Journalisten angeht, sagte er: »Hongkong hat schon Pressefreiheit.« Kaum ein unabhängiger Beobachter würde diesem Satz noch zustimmen.
Aber John Lee braucht die Zustimmung nicht, denn er fährt außer Konkurrenz. »Ich wusste von Anfang an, dass ich niemals zur Wahl zugelassen werden würde«, erklärt etwa das Kim Jong-un-Double Howard X auf Nachfrage. »Von den gut 1400 Wahlpersonen, die über die Kandidaten abstimmen, hätte ich 180 Unterstützungen erhalten müssen.« Mehrere Mitglieder des Wahlkomitees habe er kontaktiert, allerdings keine einzige Antwort erhalten. Bei der Zurückhaltung könnte Angst davor eine Rolle gespielt haben, mit Regierungskritikern auch nur in Kontakt zu treten. Schließlich ist Kritik in Hongkong nicht mehr en vogue.
Nach 99 Jahren als britische Kolonie wurde die 7,5‑Millionenmetropole im Jahr 1997 an China zurückgegeben. Damals wurde zwar vereinbart, dass Hongkong noch für zumindest 50 Jahre einen Autonomiestatus genießen würde, gemäß dem Leitspruch »Ein Land, zwei Systeme«. In Hongkong würde es weiterhin die Presse- und Meinungsfreiheit sowie freie Wahlen geben.
Doch mit der Zeit zeigte sich, wie die chinesische Nationalregierung in Peking diese Vereinbarung immer wieder zu schwächen versuchte. Die junge Generation von Hongkongern, die mit liberalen Rechten aufgewachsen waren, schlossen sich daraufhin in einer riesigen, dezentralen Bewegung zusammen. Im Jahr 2014 traten sie die Regenschirm-Proteste los, die die versprochene Demokratie einforderten.
Peking aber reagierte mit dem Gegenteil: Im Sommer 2020 erließ die Regierung ein Sicherheitsgesetz für Hongkong, das Kritik am Pekinger Ein-Parteien-System praktisch verbot und mit Gefängnisstrafen belegte. Zudem kann Personen, die in Hongkong festgenommen werden, seither in Festlandchina der Prozess gemacht werden. Dieses Sicherheitsgesetz krempelte Hongkongs bis dato liberales Leben um und setzte der Hongkonger Autonomie ein jähes Ende.
Ein Land, zwei Systeme
Proteste auf den Straßen wurden durch die Polizei unterdrückt, Tausende wurden festgenommen, die bekanntesten Köpfe der Demokratiebewegung sitzen im Gefängnis. Zudem mussten mehrere kritische Zeitungen schließen. Und im Hongkonger Parlament, das anders als der Chief Executive direkt von den Menschen gewählt wird, trat zuletzt die Opposition geschlossen zurück. Mehreren demokratisch orientierten Politikern waren die Mandate entzogen worden, nachdem sie westliche Sanktionen gegen Hongkong und China aufgrund der Schwächung der Demokratie unterstützt hatten. Aus Pekinger Perspektive galt dies als staatsfeindliche Aktion.
Am Sonntag ist der Wahlsieg eines pekingtreuen Kandidaten sichergestellt, auch weil das Wahlsystem kaum Unsicherheiten zulässt: Das 1462-köpfige Wahlkomitee setzt sich vor allem aus Personen zusammen, die die Pekinger Linie vertreten. So gewann vor fünf Jahren die eher unpopuläre Carrie Lam die Wahl. Damals hatten sich zumindest noch einige getraut, alternative Kandidaten zu unterstützen. Heute ist in Hongkong vom Wind der Demokratie nichts mehr zu spüren.
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