Völlig losgelöst

An diesem Montag wird an den Berliner Kitas auch die letzte Infektionsschutzmaßnahme über Bord geworfen

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

»Das ist doch Mist«, sagt Kita-Leiterin Gabi Höner zu »nd«. Es ergebe überhaupt keinen Sinn, dass mit diesem Montag die Corona-Testpflicht in den Berliner Kitas komplett über Bord geworfen wird, während sie an den Schulen noch bis mindestens Pfingsten beibehalten wird. »Zumal wir Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas den Kindern auch körperlich noch mal viel näher sind als Lehrkräfte an den Schulen«, so Höner, die sich auch im Landesverband sozialpädagogischer Fachkräfte Berlin engagiert.

Folgt man Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD), ist die Erklärung für die unterschiedliche Vorgehensweise einfach. »Schule und Kita – auch wenn es Kinder sind – sind nur bedingt miteinander zu vergleichen«, sagte Busse vor wenigen Tagen im Abgeordnetenhaus. Schließlich gebe es eine Schul‑, aber keine Kita-Pflicht. Auch seien Kita-Gruppen viel kleiner als Schulklassen und es gebe bei Erziehern »nicht ständig den Wechsel« wie bei Lehrkräften.

Das sei doch keine schlüssige Begründung, findet Gabi Höner. Für sie wie auch für viele ihrer Kolleginnen und Kollegen zeige das aber erneut den geringen Stellenwert, der ihrer Arbeit von der Senatsverwaltung beigemessen wird: »Das läuft doch alles unter: Ach ja, die betreuen ja bloß. Ein bisschen im Sandkasten buddeln und mit Förmchen spielen, das ist doch nichts Bedeutendes. Dabei leisten wir frühkindliche Bildungsarbeit.« Das zähle nur kaum.

Es geht denn auch beim Frust von Kita-Beschäftigten wie Gabi Höner um eine generelle Ungleichbehandlung von Schule und Kita. Denn tatsächlich, sagt die Leiterin einer Kita in Charlottenburg-Wilmersdorf, könne in ihrem Haus wohl aktuell wirklich nicht viel passieren in Sachen Corona: Fast alle der rund 65 Kinder und zehn Erzieherinnen und Erzieher waren bereits infiziert. »Wir waren ja im Januar und Februar komplett weggefegt von Omikron«, sagt Höner. Die Sorge vor neuen Corona-Fällen bleibe aber. Und ohne Tests würde man die wohl erst dann bemerken, wenn es zu spät ist.

Auch Franziska Brychcy, die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, erinnert daran, dass es fahrlässig sei, aus den aktuellen Inzidenzen den Schluss zu ziehen, das wäre es jetzt gewesen. »Das Zahl der Neuinfektionen ist jetzt zwar niedriger als zuvor, aber sie sind doch insbesondere bei den Fünf- bis Neunjährigen – und dazu gehören ja Grundschul- ebenso wie ältere Kita-Kinder – nach wie vor hoch«, sagt Brychcy zu »nd«. Die aufgrund der erlahmten Meldeaktivität nur noch bedingt aussagekräftige Sieben-Tage-Inzidenz liegt in dieser Altersgruppe derzeit bei 321 – und damit nur leicht unter dem Berliner Gesamtwert von 338.

Klar sei dennoch: »Wir hätten es gut gefunden, wenn es für Kita und Schule ein Gesamtkonzept gegeben hätte und die Testungen bei beiden bis Pfingsten verlängert worden wären. Die Ungleichgewichtung, dass jetzt an den Kitas alles nur noch auf freiwilliger Basis läuft, an den Schulen aber nicht, ist mehr misslich«, so Brychcy.

Ihre Fachkollegin in der Grünen-Fraktion sieht das genauso. »Unser Wunsch wäre gewesen, dass es ein gemeinsames Vorgehen bei Kita und Schule gegeben hätte und die Testpflicht auch an den Kitas noch einmal verlängert worden wäre«, sagt die bildungspolitische Fraktionssprecherin, Marianne Burkert Eulitz, zu »nd«. Dass das Haus von Senatorin Busse dazu keine Veranlassung gesehen habe, sei bedauerlich. Auch Burkert-Eulitz verweist dabei auf die besondere Nähe zwischen Kindern und ihren Bezugspersonen in den Kitas.

Tom Erdmann, Chef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin, vermisst auch eine »evidenzbasierte Begründung« für den völlig losgelösten Corona-Blindflug, den die Senatorin den Kitas angedeihen lässt. Busses Hinweis auf die fehlende Kita-Pflicht sei hier kaum nachvollziehbar. »Im Grunde impliziert das, dass Eltern, die sich Sorgen machen, ihre Kinder eben zu Hause lassen sollen«, sagt Erdmann zu »nd«.

Nun hatte das Testregime an den Berliner Kitas ohnehin immer wieder für Kritik gesorgt. Was ebenso an der mangelnden Sensitivität der hier verwendeten sogenannten Lolli-Tests lag wie auch an dem Umstand, dass anders als an den Schulen nicht vor Ort getestet wurde, sondern daheim vor dem Kita-Besuch. Die Ergebnisse waren daher Vertrauenssache. Senatorin Busse sagte jetzt rückblickend zu den Tests: »Wir haben zwar die allerbesten, die auf dem Markt waren und wo die Expertisen vorlagen, gekauft, sind aber – wie wir dann auch durch Evaluierung erfahren – nicht ganz so aussagekräftig wie die nasalen.« Die wiederum wolle sie Kita-Kindern nicht zumuten: »Wir wollen unsere Jüngsten nicht so, wenn es nicht sein muss, damit quälen.« Anders ausgedrückt: Und deshalb lassen wir es eben ganz.

»Ich gehe auch nicht davon aus, dass die Lolli-Tests zurückkommen«, sagt Kita-Leiterin Gabi Höner. Sie selbst setze nun auf freiwillige Testungen in ihrer Kita. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden sich nach wie vor dreimal die Woche auf Corona testen. »Wir wollen ja auch selbst gesund bleiben. Und mehr kann man hier nicht machen.«

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