- Kommentare
- Kommunikation
Mut zur Ehrlichkeit
Wer Beziehungen mit »Ich will der Person nicht wehtun« in die Länge zieht, handelt nicht einfühlsam, sondern egoistisch
»Ich will dieser Person nicht wehtun.« Wie oft habe ich Freund*innen diesen Satz sagen hören, wenn sie jemandem einen Korb geben wollten, ein Date absagen oder sich trennen wollten. Wie oft habe ich diesen Satz selbst gedacht und über die Lippen gebracht. Dass es dabei weniger um die Gefühlslage anderer geht, sondern mehr um eigene Befindlichkeiten, habe ich erst später realisiert.
Egal ob langjährige Liebe, Freundschaft oder ein paar Dates: Es ist schlicht menschlich, nahestehende Menschen nicht verletzen zu wollen. Es ist aber auch klar, dass Trennungen wehtun. Wer sich also unter dem Deckmantel der Besorgnis einem ehrlichen Gespräch entzieht, handelt nicht einfühlsam, sondern egoistisch. Meistens aus dem Bedürfnis heraus, jenen Konsequenzen auszuweichen, die das eigene Fühlen und Denken haben. Es ist schlicht feige.
Wie fies so ein Verhalten sogar sein kann, ist in verschiedensten Foren nachzulesen: So fragt eine Frau, wie sie nach einigen Dates den Kontakt zu einem Mann abbrechen kann, weil sie ihn doch nicht so toll findet, wie anfangs gedacht. Natürlich ohne ihm wehzutun. Sie bekommt folgenden Tipp: »Du hast ab sofort absolut keine Zeit mehr, musst arbeiten oder lernen oder, oder, oder – was auch immer.« Der schmerzlose Weg sei es, »die Situation im Sande verlaufen zu lassen«. Ehrlichkeit sei nur dann gefragt, wenn er sie direkt darauf anspricht, was los ist. »Aber von Dir aus was sagen? Never ever.« Warum so ein Verhalten nicht schmerzhaft sein soll, wird nicht erklärt.
Nun sind solche Internetforen bekannterweise auch mal schlechte Ratgeber. Die Ausrede, jemanden nicht verletzen zu wollen, scheint dennoch weit verbreitet und akzeptiert zu sein – und wird auf die Spitze getrieben. Nämlich dann, wenn man durch Nichtstun letztendlich die andere Person dazu bringt, die Beziehung zu beenden. Das ist manipulativ und hat rein gar nichts mehr mit Mitgefühl zu tun.
Fair ist stattdessen Folgendes: sein Gegenüber wissen zu lassen, woran derjenige ist. Und zu sagen: »Ich wollte die Person nicht noch mehr verletzen, deswegen war ich ehrlich zu ihr.«
Lesen Sie auch: Wie geht Liebe ohne Patriarchat? Heteropessimist*innen empfinden Bedauern, Scham und Hilflosigkeit angesichts der eigenen Heterosexualität
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.