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Letzte Fotos jüdischer Opfer
Ausstellung »Last Seen« auf der Ladefläche eines alten Lkw in Potsdam
Zwischen dem Potsdamer Landtagsschloss und der Straßenbahnhaltestelle davor parkt noch bis diesen Dienstag ein Oldtimer. Auf der Ladefläche des Lasters mit dem Kennzeichen KB-LS 101H präsentieren die Arolsen-Archive ihre Ausstellung »Last Seen« (Zuletzt gesehen). Diese Ausstellung widmet sich den Fotos, die im Zweiten Weltkrieg bei der Deportation von Juden, Sinti und Roma in Ghettos und Vernichtungslager im Osten entstanden. Von den damals aus Deutschland weggebrachten Menschen sind das oft die letzten erhaltenen Aufnahmen vor ihrer Ermordung.
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Bisher sind der Wissenschaft Fotos von Deportationen aus etwa 50 deutschen Orten bekannt. Die meisten dieser Aufnahmen haben Polizisten gemacht. Die Bilder dienten als Beleg für den aus Sicht der Täter reibungslosen Ablauf der Transporte. Auch für Stadtarchive und als zweifelhafte Andenken für örtliche Nazi-Funktionäre sind solche Fotos entstanden. So lichtete der Kriminalpolizist Gustav Kühner am 22. Oktober 1940 im süddeutschen Lörrach seinen Vorgesetzten ab, wie dieser mit erhobenem Zeigefinger vor einer Reihe von Männern und Frauen mit wenig Handgepäck steht. Während die Opfer eingeschüchtert oder resigniert schauen, sieht man ganz rechts im Bild noch zwei weitere Uniformierte, die breit grinsen.
Vermutlich habe es aber auch zufällige Augenzeugen gegeben, informiert die Ausstellung, Nachbarn oder Passanten etwa, die das Geschehen fotografierten, vielleicht sogar, um das Unrecht zu dokumentieren, heißt es auf einer Ausstellungstafel.
Die Arolsen-Archive sind auf der Suche nach solchen historischen Fotos, von denen es wahrscheinlich noch sehr viel mehr gibt. Sie könnten in vererbten Fotoalben stecken oder in verstaubten Kisten auf Dachböden lagern. Für den Laien sei nicht immer leicht zu erkennen, ob eine Deportation abgebildet ist, heißt es. Darum gibt es an diesem Montag wenige Meter von dem Lkw entfernt um 18 Uhr eine Fotosprechstunde im Filmmuseum an der Breiten Straße 1A. Experten sichten dort hingebrachte Fotos und geben Tipps zur Recherche. Wer ist abgebildet? Wer hat fotografiert? Wann und wo entstanden die Aufnahmen?
»Je mehr Menschen den Historikerinnen und Historikern bei der Suche nach Bildern und Informationen helfen, desto umfangreicher und interessanter werden die Ergebnisse«, erklärt Floriane Azoulay, Direktorin der Arolsen-Archive. Erste Ergebnisse der Nachforschungen sollen Ende 2022 veröffentlicht werden. Nach der Station in Potsdam kommt der Lkw erst einmal nach Stuttgart, danach wird er in Bayern zu besichtigen sein, später auch in den thüringischen Städten Arnstadt (15. bis 28. September) und Nordhausen (13. bis 26. Oktober). Angesteuert werden vor allem Orte, in denen sich die Wissenschaft noch Fotofunde erhofft. Es handelt sich um eine Initiative der Arolsen-Archive mit dem Haus der Wannsee-Konferenz, dem Münchner Institut für Stadtgeschichte und Erinnerungskultur, dem Institut für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin und einem Zentrum für Völkermord-Forschung in Los Angeles. Die Arolsen-Archive beherbergen die weltweit umfassendste Sammlung zu Opfern und Überlebenden des Faschismus. Hervorgegangen sind sie aus einem internationalen Suchdienst für verschleppte Angehörige mit Sitz im hessischen Bad Arolsen.
Der für die Ausstellung umfunktionierte Lkw ist in den 1950er Jahren gebaut worden. Doch mit ähnlichen Lastern sind im Zweiten Weltkrieg Juden, Sinti und Roma zu Sammelstellen oder Bahnhöfen gebracht worden. Manchmal mussten sie auch durch die Stadt zu den Zügen laufen, die sie in den Tod beförderten. Wer die Deportation mit Glück überlebte, konnte den Nachgeborenen davon berichten, so wie Ottilie Reinhardt. Sie war im Mai 1940, als 2500 Sinti und Roma aus Ludwigshafen am Rhein nach Polen verschleppt wurden, sechs Jahre alt. Reinhardt erinnerte sich später: »Unsere Mutter hat jedem von uns Kindern zwei Kleider angezogen. Sie packte Bettbezüge ein und wieder aus, weil wir nur ganz wenig mitnehmen durften. Mit Lastwagen wurden wir zum Zug gebracht. Wir Kinder hatten schreckliche Angst. Unsere Mutter sagte, wir müssten dicht beisammen bleiben. Niemand wusste, wohin wir kommen.«
In Potsdam sahen sich Oberbürgermeister Mike Schubert und Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (beide SPD) kürzlich die Ausstellung an. »Das Vergangene ist nie ganz vergangen, sondern lebt fort und wirkt fort«, sagte Liedtke. Mike Schubert bemerkte: »Die Ausstellung bietet auf kleinem Raum eine Art Reise in eine dunkle Zeit, in der so viele Menschen zu Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung wurden. Das ist und bleibt erschreckend relevant.«
Ausstellung »Last Seen«, noch bis 24. Mai, täglich von 10 bis 18 Uhr, Alter Markt in Potsdam, Eintritt frei, lastseen.org
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