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Jeden Tag ein Stück Unabhängigkeit weniger

In Guatemala gibt es ein bemerkenswertes Roll-back in der Justiz

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 6 Min.

María Consuelo Porras heißt die alte und neue Generalstaatsanwältin in Guatemala, und strahlend präsentierte sich die Juristin Anfang letzter Woche an der Seite von Präsident Alejandro Giammattei der Presse. Porras hatte Grund zu jubeln, denn sie hat das Rennen um den höchsten Posten in Guatemalas Justiz, der ihr obendrein Immunität garantiert, in einem intransparenten Verfahren für sich entschieden.

Für Guatemala und die Unabhängigkeit der Justiz sei das ein denkbar schlechtes Zeichen, sagt Iván Velásquez, der bis September 2019 die UN-Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) leitete. «Die Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte ist in Guatemala kaum mehr gegeben, aber dieses Phänomen ist quasi überall in Lateinamerika sichtbar.» Vielerorts gibt es eine Politisierung der Justiz und eine Unterhöhlung der Gewaltenteilung. «Es fehlen mehr als nur transparente Nominierungsverfahren», kritisiert der 66-jährgie kolumbianische Jurist.

CICIG: Kommission mit Modellcharakter

Die Kommission der Vereinten Nationen gegen die Straflosigkeit in Guatemala (Comisión Internacional contra la Impunidad en Guatemala – CICIG) war eine UN-Organisation, die durch das Übereinkommen mit der guatemaltekischen Regierung vom 2. Dezember 2006 zustande kam. Sie hatte die Aufgabe, gegen die organisierte Kriminalität zu ermitteln und nahm Ende 2007 ihre Arbeit auf. Alle zwei Jahre musste das Mandat der Kommission von der guatemaltekischen Regierung verlängert werden. Das war 2018 nicht mehr der Fall, so dass die Arbeit der CICIG in Guatemala im September 2019 auslief. Dies war vor allem dem fehlenden diplomatischen Druck auf die Regierung von Jimmy Morales vonseiten der USA und der EU geschuldet, aber auch der Tatsache, dass die Arbeit einer derartigen Kommission nur zusammen mit den nationalen Institutionen realisierbar ist. Die als Blaupause für die Stärkung der Justiz in der Region entwickelte Kommission mit rund 170 Expert*innen könnte alsbald eine Renaissance erleben. Derzeit arbeiten Expert*innen in Washington, Tegucigalpa und Bogotá an einer CICIG 2.0. Die Neuauflage soll in Honduras zum Einsatz kommen, wo derzeit eine UN-Kommission erste Vorgespräche führt. khe

Allerdings ist Guatemala dafür ein besonders schockierendes Beispiel. Schließlich war das mittelamerikanische Land dank der Arbeit der UN-Kommission zusammen mit dem Justizministerium, dem die Generalstaatsanwältin de facto vorsteht, noch vor sieben Jahren auf dem besten Weg, die Justiz grundlegend zu reformieren. 2015 musste Präsident Otto Pérez Molina wegen erdrückender Korruptionsbeweise und landesweiten Demonstrationen seinen Rücktritt verkünden. 2018 erhielten Iván Velásquez und Thelma Aldana, das kongeniale Duo hinter den rigorosen Ermittlungen, den alternativen Nobelpreis.

Doch zu dem Zeitpunkt war der Stern der UN-Kommission schon wieder am Sinken. Sie hatte nämlich gegen diejenigen zu ermitteln gewagt, die nicht nur in Guatemala als unantastbar gelten: die politische, ökonomische und militärische Elite des Landes. Dem damaligen Präsidenten Jimmy Morales drohte wegen illegaler Wahlkampffinanzierung eine Anklage, und so erklärte er kurzerhand im August 2017 den UN-Kommissionsleiter Velásquez zur «unerwünschten Person» in Guatemala.

Permanent unter Druck

Das war der Auftakt für ein beispielloses Roll-back in der guatemaltekischen Justiz. Nur noch einige Parolen und verblichene Plakate in der Hauptstadt zeugen heute noch von der damaligen Aufbruchstimmung – als Ex-Präsidenten wie Jimmy Morales, aber auch der aktuell amtierende Alejandro Giammattei als Diebe bezeichnet, Gerechtigkeit für die Opfer des Bürgerkrieges (1960-1996), aber auch Frauenrechte eingefordert wurden. Das Justizministerium wurde in dieser Zeit oft als Hort der Korrupten bezeichnet und mit entsprechenden Graffiti besprüht.

Dabei ist auch der Name Consuelo Porras aufgetaucht. Eben weil die Generalstaatsanwältin das Gegenteil ihrer Vorgängerin Thelma Aldana macht, die längst ins US-amerikanische Exil gedrängt wurde. Porras kooperiert mit den Eliten, allen voran mit den beiden Präsidenten Jimmy Morales und nun Alejandro Giammattei. Das erklärte auch das US-amerikanische Außenministerium wenige Stunden nach der Ernennung Porras für eine zweite Amtszeit. Sie sei «in entscheidenden Korruptionsfällen involviert», hieß es. Während ihrer ersten Amtszeit habe sie wiederholt Ermittlungen wegen Korruption blockiert und unterminiert, zudem seien unter ihrer Regie in Korruptionsermittlungen involvierte Staatsanwälte entlassen worden.

Das sind deutliche Worte vonseiten der USA, meint Michael Mörth, die aber nicht unerwartet kämen. «Der Name Porras steht auf der ›Liste Engel‹, erklärt der deutsche Jurist und ehemalige Berater einer Anwaltskanzlei in Guatemala-Stadt. »Die Frage ist spannend, warum der Präsident sie ernannte, obwohl er kein Interesse hat, das ohnehin angespannte Verhältnis zu den USA weiter zu belasten.« Die »Liste Engel« ist seit dem 22. Dezember 2020 dank einer Gesetzesinitiative des demokratischen Abgeordneten Eliot Engel in Kraft getreten. Auf ihr landen die Namen aller korrupt und undemokratisch handelnden Personen aus Guatemala, Honduras und El Salvador. Ihnen wird die Einreise in die USA verwehrt sowie alle Geschäftstätigkeiten mit US-Unternehmen.

Der Name Porras steht seit Juli 2021 auf der Liste. Damals hatte die Generalstaatsanwältin den Leiter der auf Korruptionsdelikte spezialisierten Staatsanwaltschaft, Francisco Sandoval, entlassen. Der hatte laut eigener Aussage bei seinen Ermittlungen im Umfeld des als korrupt geltenden Präsidenten Alejandro Giammattei Beweise zutage gefördert und floh schließlich in die USA. Teile dieser Ermittlungen könnte Porras an sich gebracht haben und so den Präsidenten in der Hand haben, vermuten Experten wie Mörth.

Für ihre neuerliche Ernennung war Porras auf die Hilfestellung des Verfassungsgerichts angewiesen. Das galt bis vor Kurzem als letzte Bastion gegen den »Pakt der Korrupten« – einer unheilvollen Allianz aus korrupten Politikern, finanzstarken Unternehmern und ranghohen Militärs. Die zehn Richter*innen stehen nunmehr auf der Lohnliste des »Paktes der Korrupten« meinen Mörth und die guatemaltekische Menschenrechtsexpertin Claudia Samayoa: »Nicht nur in Guatemala, auch in El Salvador, Honduras oder Nicaragua haben die Herrschenden die Verfassungsgerichte quasi übernommen. In Guatemala im April 2021«, erklärt Samayoa. Für die Nominierung Porras war das entscheidend, denn es war die Verfassungsinstanz, die letztlich andere Kandidat*innen in einem intransparenten Nominierungsverfahren aus dem Weg räumte.

Eine solche Vorgehensweise ist nicht neu. Deshalb pochen Expert*innen wie der ehemalige CICIG-Direktor auf transparente Nominierungsverfahren in der Justiz. Die sind in der ganzen Region allerdings eher eine Ausnahme. Das hat dazu geführt, dass mit dem Regierungswechsel in Washington im Januar 2021 der Druck aus den USA gestiegen ist. Die »Liste Engel« ist nur ein Instrument. Auf ihr stehen auch Namen enger Mitarbeiter*innen des el-salvadorianischen Präsidenten Nayib Bukele, genauso wie ranghohe Richter*innen aus Nicaragua, Vertraute des ehemaligen und mittlerweile ausgelieferten Präsidenten von Honduras, Juan Orlando Hernández, oder eben Consuelo Porras. Ein noch deutlich schärferes Instrument könnte die von Washington angekündigte regionale Kommission gegen Korruption sein. Die lässt aber weiter auf sich warten, monieren Mörth und sein honduranischer Kollege Joaquín Mejía.

Honduras als wegweisendes Beispiel?

Letzterer attestiert den USA allerdings angesichts der Rückschritte in Guatemala und in EL Salvador, wo Präsident Nayib Bukele seit Mai 2021 mit einer absoluten Mehrheit im Parlament regiert und sogleich ihm nicht dienende Verfassungsrichter*innen austauschte, mehr Pragmatismus. Die Auslieferung des Ex-Präsidenten Juan Orlando Hernández im April an die USA hat der im Januar vereidigten linken honduranischen Regierung von Xiomara Castro einen Schub verliehen. »Sie hat Reformen initiiert, die zu diesem Zeitpunkt kaum denkbar schienen«, so Mejía. Der Jurist und Mitarbeiter des jesuitischen Forschungszentrums ERIC-SJ im honduranischen El Progreso gehört zu den Analyst*innen, die sowohl international als auch national gefragt sind. Zu den Maßnahmen der Regierung zählen entscheidende Personalwechsel bei der Armee und der Polizei, die im korrupten Drogenschmuggel-Netzwerk des Ex-Präsidenten eine zentrale Rolle spielten, genauso wie die Annullierung etlicher Gesetze. Reformen im Bildungs- und Sozialsystem gewinnen ebenso an Kontur, wie die 62-jährige Präsidentin bei der Justiz einen klaren Fahrplan verfolgt.

Kurz nach ihrer Vereidigung hat sie die Vereinten Nationen darum ersucht, eine Kommission gegen Korruption und Straflosigkeit in Honduras nach guatemaltekischem Beispiel zu formieren. Der Antrag wurde in New York wohlwollend angenommen. Eine Evaluierungskommission von UN-Spezialisten soll nun den Prozess vorbereiten. »Es sind erste Vorgespräche, die Einrichtung einer derartigen Kommission wird mehrere Jahre dauern«, schätzt Joaquín Mejía. Sicher ist er sich allerdings, dass eine derartige Kommission Signalcharakter für die gesamte Region entfalten könnte. »Der Druck auf autoritäre und korrupte Regierungen wie in El Salvador, Guatemala oder Nicaragua wird wieder größer werden«, urteilt Mejía. Daran ändert auch die Ernennung einer derart fragwürdigen Generalstaatsanwältin wie Consuelo Porras in Guatemala nichts.

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