Die Mär von der Putin-Lobby

Um eine Veranstaltung von Nato-Kritikern rankten sich Gerüchte und Desinformation

  • Ramon Schack
  • Lesedauer: 4 Min.

»Schämt Euch!«, schallte es den Besuchern des Kongresses »Ohne Nato leben – Ideen zum Frieden« entgegen, als sie am Sonnabend versuchten, den Veranstaltungsort durch den Hintereingang der Berliner Humboldt-Universität zu betreten. Ein zahlenmäßig überschaubares Häuflein hatte sich dort versammelt, offensichtlich unter der Regie eines älteren Mannes stehend, der wie ein jüngerer Bruder des im letzten Jahr verstorbenen Dortmunder Neonazi-Funktionärs Siegfried Borchardt (»SS-Siggi«) aussah und ebenso auftrat. Der Mann, bekleidet wie ein Angehöriger paramilitärischer Milizen, inklusive einer ukrainischen Flagge, welche er um den Oberarm gebunden hatte, schnitt dem Journalisten den Weg zur Veranstaltung ab und redete wie einer dieser »Lügenpresse«-Krakeeler, vor allem als er den Namen des Mediums, »nd«, vernahm.

Handelte es sich um ein Mitglied der Neonazi-Partei »Dritter Weg«, die schon seit langem eine deutsch-ukrainische Waffenbrüderschaft propagiert? Der ältere Mann war zunächst zu keinem Gespräch fähig, äußerte stattdessen russophobe und antisemitische Drohungen, flankiert von Klischees über die politische Ausrichtung des »nd«. Nein, angeblich stammte der Aktivist aus dem »ideologiekritischen, früher antideutschen Spektrum«. Eine verkehrte Welt, über die man sich nicht wundern darf, wenn heutzutage Asow-Kämpfer in der Ukraine mit Hitler- und Hakenkreuz-Tattoos von Leitmedien und führenden Politikern als Freiheitskämpfer des Westens inszeniert werden.

»Nein, über eine mangelnde mediale Aufmerksamkeit konnten wir uns im Vorfeld nicht beklagen«, erklärte Ekkehard Lentz vom Bremer Friedensforum, der nur wenige Meter entfernt das Treiben der Gegendemonstranten beobachtete. Lentz, der zusammen mit Christiane Reymann und Karl Heinz Peil die Veranstaltung organisiert hatte, äußerte sich optimistisch zur Zukunft der Friedensbewegung. Unter den Teilnehmern war auch die Linke-Obfrau im Auswärtigen Ausschuss, Sevim Dagdelen, während Linke-Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler schon eine Woche zuvor verlautbaren ließ, dass die dort vertretenen Auffassungen »ausdrücklich nicht Position unserer Partei« seien.

In Berlin wird eine Nato-kritische Veranstaltung inzwischen als Blasphemie behandelt, hinter der natürlich nur der russische Präsident selbst stecken kann. Als »Who’s who der Putin-Versteher und Faktenverdreher« wußte dann auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, der SPD-Politiker Michael Roth, gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) zu berichten. Neben der schon erwähnten Linke-Abgeordneten Dagdelen gehörten zu den von Roth als Putinisten Verunglimpften der Historiker Peter Brandt, der Theologe Eugen Drewermann, die frühere Leiterin des ARD-Studios Moskau, Gabriele Krone-Schmalz, Oskar Lafontaine, der Völkerrechtler Norman Paech, der russische Wissenschaftler Alexej Gromyko, der ukrainische Pazifist Jurij Scheljaschenko und andere.

Besucher der Veranstaltung konnten schnell feststellen, dass der russische Präsident dort aber nicht anzutreffen war, weder persönlich noch als Inspirationsquelle, sondern dass die etwa 1000 Teilnehmenden in Präsenz und online eher den Beiträgen lauschten oder sich untereinander austauschten, während der Sozialdemokrat Roth wetterte, »wie Putins Propaganda auch in Teilen der deutschen Gesellschaft verfängt und weiterverbreitet wird«. Dabei wurde der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine als »völkerrechtswidrig« und, wie jeglicher Krieg, »nicht gerechtfertigt« verurteilt. Allerdings habe es seit Jahren gegenüber Russland nicht zu viele Angebote und Diplomatie gegeben, sondern viel zu wenige. »Die Nato war nicht kompromissbereit und setzt ihre eigenen Sicherheitsinteressen auf Kosten anderer durch; so kann keine Sicherheitsordnung in Europa funktionieren«, so die Veranstalter.

Ein weit gewichtigerer Sozialdemokrat, der schon verstorbene Egon Bahr, hätte seinem parteipolitischen Leichtgewicht Roth vielleicht die gleichen Worte entgegnet, welche er am 3. Dezember 2013 im Gespräch mit Schülern im Rahmen der »Willy-Brandt-Lesewoche« im Friedrich-Ebert-Haus Heidelberg äußerte: »In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.«

Der Veranstaltung und ihren Organisatoren kann man eigentlich nichts weiter vorwerfen, außer dass man die Konferenz etwas lebhafter hätte gestalten können, zumal deren Thesen und Theorien vor rund 20 Jahren, zu Beginn des Golf-Krieges, noch in weiten Teilen der Gesellschaft verankert waren. Für die damaligen Proteste und den Widerstand gegen den Krieg waren in den Leitmedien punktuell sogar gewisse Sympathien erkennbar. Jedenfalls wurde keiner der kritischen Menschen, die damals auf die Straße gingen, als »Querdenker«, »Schwurbler« oder »Hussein-Versteher« abgekanzelt, und das, obwohl jedem klar war, dass es sich bei dem irakischen Staatschef Saddam Hussein um einen äußerst grausamen Diktator handelte.

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