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Freiheit für die Enkel?

Bei dem Kongress »Klimawandel und Gesellschaftskritik« in Oldenburg wurde das apokalyptische Denken einer Kritik unterzogen

  • Lara Wenzel
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit dem Gedicht »Darkness« verfasste Lord Byron eine frühe literarische Untergangsfantasie. Die Sonne verschwindet, sodass sich die in einer finsteren, zeitlosen Welt gefangene Menschheit beginnt aufzuzehren. Apokalyptische Entwürfe der Romantik, die sich dem christlichen Heilsversprechen entledigt haben, stehen den filmischen Endzeitfantasien auf gängigen Streamingplattformen nahe. Sie beerben in ihren Motiven die Gattung, die sich als Reaktion auf fortschreitende Industrialisierung und Maschinisierung herausbildete, stellt Philosophin und Soziologin Jennifer Stevens in ihrer Analyse fest.

Wie derzeitige Klimabewegungen von Fridays for Future bis zu Ökofaschisten der Neuen Rechten von einem apokalyptischen Gefühl geleitet werden, ist eine der zentral diskutierten Fragen auf dem Kongress »Klimawandel und Gesellschaftskritik« an der Universität Oldenburg. Die sich links verstehenden Proteste geben im Zeichen der Dringlichkeit den Anspruch eines guten Lebens auf. Während sich am Horizont der Weltuntergang abzeichnet, hofft die letzte Generation auf ein bloßes Überleben, das gesellschaftlichen Gestaltungswillen mit einem »wenigstens nicht schlechter« verwechsle.

Dass Akteur*innen von FFF nur eine diffuse Vorstellung haben, was sie mit ihrer Forderung »system change – not climate change« meinen, ja nicht einmal einen adornitischen Begriff der Gesellschaft zugrunde legen, ist eine banale Feststellung, bei der viele der ideologiekritischen Vorträge stehenbleiben. Im logischen Kurzschluss bestärken diese Beiträge, unter anderem von »Bahamas«-Autor Jörg Huber und Gerhard Stapelfeldt, die eigene Praxisfeindlichkeit zugunsten einer sich theoretisch reinhaltenden Sophisterei, weil eine zureichende Praxis in den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht verwirklichbar ist. Dies schlägt um in eine perfide Verteidigung der kapitalistischen Zustände, die schließlich Aufklärung und die Beseitigung patriarchaler Herrschaft mit sich gebracht hätten.

Wenn man die von Marx beschriebene Akkumulationsbewegung des Kapitals zugrunde legt und davon ausgehend einen Zusammenhang zwischen Klimawandel und Wachstumszwang feststellen muss, verweist das auf den realen Kern der Weltuntergangsangst. Die Vernutzung von Naturressourcen schreitet auf eine Weise voran, die zu Trinkwasserknappheit, Vergiftung von Böden und steigenden Temperaturen führt. Statt die Klimabewegung einfach als panisch-irrational zu denunzieren, stellt sich doch vielmehr die Frage, welche Interventionsmöglichkeiten eine rettende Kritik bietet.

Das Panel »Geschichte und Zukunftsbewusstsein«, in dem auch Stevens ihren Vortrag hielt, arbeitet mit Denkfiguren des Bruchs von Walter Benjamin. In ihrem Beitrag dreht Soziologin Alexandra Schauer das Bild des »Angelus Novus« um. Während der Engel der Geschichte auf den Trümmerhaufen in der Vergangenheit blickt, erkennt die Klimabewegung die Katastrophe in der Zukunft. Aus der Umwendung als Abwendung von der Geschichte und ihren verschütteten, messianischen Momenten ergibt sich eine auf das »Ideal der befreiten Enkel« ausgerichtete Bewegung, die Benjamin bei den fortschrittsgläubigen Sozialdemokraten verortete. Doch gehe in einer als rasender Stillstand wahrgenommenen Zeit das Moment der Befreiung zugunsten einer nur quantitativen Ausdehnung des Überlebens verloren.

In der – zu Recht – kritisierten Dringlichkeit, die die Klimabewegung nicht müde wird zu beanspruchen, scheint auch etwas anderes auf. Wohlwollend verstanden ist es der Bruch mit dem neoliberalen Prinzip des akzeptierten Kollateralschadens – einer Dynamik, die Artensterben und menschliches Leid zugunsten ökonomischer Prinzipien hinnimmt. Aus der Einforderung des Glücks in der Jetztzeit und seiner vergangenen Möglichkeit steckt »eine schwache messianische Kraft«. Mit dem Kairós, in dem sich nach dem Philosophen und Politikwissenschaftler Alexander Neupert-Doppler eine Reife des Bewusstseins und die Krise der Zustände mit der günstigen Kräftekonstellation verbindet, könnte das Bestehende in die Konstitution des Neuen, des sich realisierenden Glücks, umschlagen. Denn bei aller falschen Katastrophenrhetorik bleibt doch: »Die Katastrophe = die Gelegenheit verpasst haben«.

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