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Ein kleines pädagogisches Fernsehspiel: Der Kinofilm »Rivale« von Marcus Lenz

  • Stefan Gärtner
  • Lesedauer: 4 Min.
Roman (Yelizar Nazarenko) erlebt in "Rivale" eine Achterbahnfahrt der Gefühle.
Roman (Yelizar Nazarenko) erlebt in "Rivale" eine Achterbahnfahrt der Gefühle.

Auch so ’ne Frage: Woran man das eigentlich merkt, dass ein Film ein Fernsehfilm ist und keiner fürs Kino. Und man merkt es eigentlich immer.

Da können sich ambitionierte Kräfte noch so verrenken, aus einem »Tatort« etwas formal Besonderes zu machen, es bleibt doch immer ein »Tatort«. Eine TV-Liebeskomödie wird niemals »Harry und Sally«, und vielleicht markiert der alte Reihentitel »Das kleine Fernsehspiel«, als nämlich pleonastischer, den Unterschied, denn ein kleiner Bruder bleibt immer der kleine Bruder, und sei er auch längst erwachsen. Im Fernsehfilm ist alles kleiner, begonnen bei der Ambition, und damit fängt es an; schon ein Kinofilm gerät, hat er die Theater verlassen, meist schnell in Vergessenheit, wie viel flüchtiger ist da, von Ausnahmen abgesehen, das Fernsehen. Fernsehen, ließe sich sagen, ist eng, Kino ist weit, ist die große Geste, noch in der kleinen; im Fernsehfilm ist es umgekehrt.

»Rivale« von Marcus Lenz nun ist ein Fernsehfilm, der im Kino läuft. Die Erkenntnis ereilt einen schon bei den verlässlich angeschnittenen Bildern und der klandestinen Kamera, die dem sogenannten kleinen Film als Ausweis von Reflexion gilt, denn wenn die Erzählerin sich, anders als der männlich dominante Blick Hollywoods, klein macht, wird die Geschichte groß, im Beispiel die des neunjährigen Roman, der in der (natürlich Vorkriegs-)Ukraine bei der Oma lebt, weil die Mutter sich in Deutschland als Pflegekraft verdingen muss. Dann ist die Oma tot und der Junge wird nach Niedersachsen zur Mama geschleust; die Frau, für deren Pflege die Mutter bezahlt wurde, ist tot, der Witwer, Diabetiker und erst 62, möchte aber auf die Mama nicht verzichten. Roman aber auch nicht, und das ist das Problem.

Dabei ist der wunderbare Udo Samel als Gert Schwarz kein Ekel, sondern versucht, dem verstockten Jungen ein bisschen Deutsch beizubringen. Er heiße Schwarz, sagt er, Gert Schwarz, und hält seine schwarze Geldbörse hoch. »Geldbörse«, wiederholt Roman auf Ukrainisch, und also lautet die Pointe, dass der weiße deutsche Mann Gert Geldbörse heißt; Lacher beim Festival, die Sache mit der Geste. Die Wohnung ist nicht groß, der Junge sitzt meist drin, und hier käme die Form zum Stoff, wenn nicht gar so penetrant um Ecken und durch Türspalte gelinst würde, und auch die Musik steht nicht an, uns jederzeit über den Stand der Dinge zu informieren. Er ist nicht gut, der Stand, denn der eifersüchtige Junge bockt und ist, im ganz konkreten Sinn, nicht ansprechbar, und dass diese Metapher so klein wirkt, liegt nicht an ihr.

Dann wird, erster Plot Point, die Mama krank. Sie ist, wie man so sagt, illegal, und der Mann legt sie dem Krankenhaus vor die Tür und verschwindet mit dem Jungen in einem Haus im tiefen Wald. Der Mann ist, ohne es wohl zu wissen, ein Pädagoge, er setzt dem kindlichen Widerstand klare Grenzen, denn hinterm Haus beginnt der Dschungel, und dahin soll das wilde, weil sprachlose Kind nicht zurück. Der Junge taut auf, weil Gert Schwarz ein Gewehr hat und ihn schießen lässt, Vater und Sohn, sie haben sich gefehlt, die ödipale Phase ist überwunden, und weil man beim Sportschießen einen Gehörschutz trägt, wird aus dem Ganzen eine Allegorie, für deren politische Aktualität der Film nichts kann. Nach der ersten Hälfte ist sein Titel eigentlich sinnlos geworden, und dann kommt der zweite Plot Point, und als Roman allein zu Haus ist (Entschuldigung, wir müssen spoilern), sich also die Sprachlosig- als Einsamkeit materialisiert, weiß der Film sowenig wohin mit sich, wie es der Junge wissen kann. Das kann man überzeugend finden oder nicht; Traumsequenzen und Motivgeraune sind eher ein Grund, es nicht zu tun. Das Ende macht aus seinen Möglichkeiten zwar das Beste, aber die sind beschränkt, und in der Pointe das Thema noch einmal herauszustreichen ist dann keine Pointe, sondern noch einmal Pädagogik.

Doch gemach; »Rivale« ist gar kein schlechter Film, schon weil Udo Samel spitze ist und der kleine Yelizar Nazarenko auch. »Rivale« ist bloß kein guter Kinofilm, weil er nämlich ein kleines Fernsehspiel ist, und da Eltern ja eh nicht mehr so oft ins Kino kommen, sind sie in einem Jahr oder so dankbar, wenn sie Udo Samel nach dem »Heute-Journal« eine große Wahrheit übers tägliche Erziehungsgeschäft anmoderieren hören: »Du musst hören, wenn ich dir etwas sage!« Denn das kann dieses Kind, stellvertretend für alle, natürlich aus Prinzip nicht. Auch ohne Gehörschutz.

»Rivale«: Deutschland/Ukraine 2020; Regie: Marcus Lenz; mit Yelizar Nazarenko, Udo Samel, Maria Bruni; 96 Min.; Start: 2. Juni.

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