Ein Lied für die Angst

Plattenbau: Die CD der Woche: »Meine Ängste« von Maxi Pongratz

Auf der Straße, da kriegen sie dich nicht: Maxi Pongratz
Auf der Straße, da kriegen sie dich nicht: Maxi Pongratz

Wer hat Angst vor der Angst? »Der alte Affe Angst«, hat Oskar Roehler einen seiner besseren Filme genannt; »Angst essen Seele auf«, hatte Roehlers Vorbild Rainer Werner Fassbinder schon viel früher als Titel gewählt. Und Fehlfarben sangen auf ihrer besten Platte: »Angst, junger Mann, auf die Straße zu gehen? Angst, junge Frau, um diese Zeit allein im Dunkeln zu stehen?« Das war auf »Monarchie und Alltag«, erschienen 1980, als das große Jahrzehnt der Angst begann und die Titelbilder des »Spiegels« dominierte: Angst vor dem Atomtod, Angst, dass der Wald wegen »sauren Regens« stirbt, und Angst vor Aids. »The German Angst« war im Englischen ein Begriff für eine spezifische deutsche Alarmstimmung, es ging um Angstlust und Endzeitgrusel.

Nun hat Maxi Pongratz, der fast schon heilige Sänger der unsterblichen Hoffnungsband Kofelgschroa aus der katholischen Wunderblumenstadt Oberammergau, ein Album herausgebracht, das den schönen Titel »Meine Ängste« trägt. Das ist mutig und ehrenwert, denn von den »Gefühlen« wird unentwegt geplappert (»vom Feeling her ein gutes Gefühl«, sprach einst der große, merkwürdige Fußballer Andy Möller), von den Ängsten eher nicht – zu persönlich. Die Angst davor, einen Raum zu betreten, den man nicht kennt; die Angst, wenn’s drauf ankommt, nicht das Richtige sagen zu können; die Angst, nicht einschlafen zu können und ewig wachzuliegen. Zähneklappern angesichts der allgemeinen Katastrophalentwicklung geht dagegen immer. Gerade jetzt, wo die Angst vor dem Atomkrieg zurückgekehrt ist, in einer von der Pandemie durchgeschüttelten BRD, in der die Menschen, die Angst vor Corona hatten, Angst vor den Menschen hatten, die davor keine hatten – und umgekehrt.

»Bleib im Hellen, bleib im Licht / Auf der Straße, da kriegen sie dich nicht«, sangen Fehlfarben 1980. Das war Ausdruck von Paranoia, Punk und Pessimismus. Maxi Pongratz singt dagegen in einer melancholischen Tom-Waits-Stimmung zu Akkordeon und Gitarre ein Lied an seine Angst: »Für di mach i weiter wie i’s gewohnt bin, / für di zappl i und schwitz, / für di kimmt ma nix anders in Sinn / für di rast mei Herz / und verschlagts mei Stimm.« Im sehr schönen Video dazu schleppt er ein Harmonium durch die Gegend, so lange, bis es auf einer Wiese steht, er es mit Benzin übergießt und anzündet. »Frei. Sein. Wollen« hieß der Dokumentarfilm über Kofelgschroa, eine Band, die aus der Enge des Bestehenden im CSU-Land Bayern ins Offene wollte, von der traditionellen Volksmusik hinein in den Krautrock, mit Blasinstrumenten und ohne Schlagzeug. Auf seinem ersten Soloalabum hatte Pongratz 2019 über Regentropfen, die er beobachtete, gesungen und über Worte, die er nicht fand.

Das Besondere an seiner neuen Platte ist, wie wenig dramatisiert er über die Angst singt. Ohne Verzweiflung wird sie selten in der Popmusik thematisiert, man höre nur die klassischen Songs von Lou Reed (»Waves of fear«) oder John Cale (»Fear is a man‹s best friend«). Pongratz akzentuiert dagegen eine Angst, die jeder kennt, aber selten verrät. Höchstens in läppischer Comedy-Manier, so wie Jürgen von der Lippe einst sang: »Guten Morgen, liebe Sorgen, seit ihr auch schon alle da? Habt ihr auch so gut geschlafen? Na, dann ist ja alles klar.« Hahaha, ein wirklich sehr blödes Lied, aber mit einem Refrain, den sich jeder merken konnte, damals in den angstbesetzten 80er Jahren. Pongratz braucht keine ironischen Umwege: »Für di verkrampf i in da Brust, / für di folg i und parier. / Du bleibst bei mir, / a wenn i ned will, / du passt auf, / dass i ned sog, was i fühl.«

Das Grundproblem: Die Menschen sagen nicht, was sie fühlen und wollen und denken. Hier singt es einer. Und auch über den »Lebenserwartungsblues« seiner proletarischen Eltern, über die »Freiheit« einer Gans kurz vor der Schlachtung; es gibt ein »Ordnungslied« und eins über »Des wos war« – mit der alles entscheidenden Frage: »Doch was is morgen?«

Maxi Pongratz: »Meine Ängste« (Trikont/Indigo)

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