In Haftbefehls Garten

Wham, bam, schluchz – der Rapper Haftbefehl bringt den alten Liedermacher Reinhard Mey in die Charts

»Brutaler Song, Alter. Heftig«: Reinhard Mey singt für Haftbefehl, wenn er down ist.
»Brutaler Song, Alter. Heftig«: Reinhard Mey singt für Haftbefehl, wenn er down ist.

Wham! Mit der Doku »Babo« hat Netflix einen Hit gelandet. Es geht um den Offenbacher Rapper Haftbefehl, auch genannt Haft oder Hafti. Der ist sehr erfolgreich und irgendwann ziemlich hinüber – nach 25 Jahren Kokain. Und das will er auch zeigen.

Bam! Aber »Babo« ist keine gute Doku. Es gibt die typischen Netflix-Überwältigungstricks. Eine dunkle urbane Welt, in der es immer wieder blitzt und donnert. Haftbefehl führt sich auf wie ein Rockstar aus dem Bilderbuch, dann und wann voll da, aber auch sehr schwierig. Erst wird er groß aufgebaut, um dann tief zu fallen – das ist die Ästhetik von »Bild«.

Boing! Für die Effekte werden die Kontexte gekappt. Woher kam das viele Geld für seinen zockenden, depressiven Vater, der sich umbrachte? Was ist mit der Mutter? Warum wirken seine Brüder so brav? Was ist die Bedeutung seines Azzlack-Slangs? Die Feuilletons bejubelten ihn als eine Art Deutsch-Rap-Goethe. Das ist Netflix alles egal.

Schluchz! Eine ergreifende Szene aber gibt es. Haft ist down und voller Selbstverachtung, sucht in seinem Handy und singt dann ein zartes Lied von Reinhard Mey mit: »In meinem Garten«. Da begräbt einer eine Blume: »Was ich besaß, hab’ ich vergeben / Meine Seele und mein Leben.«

Period! Das gefällt sehr vielen Haftbefehl-Fans. Und deshalb ist dieser Song von Reinhard Mey jetzt in den Charts. Oder was man heute dafür hält: Er ist vorne auf Tiktok, Insta, Spotify. »Brutaler Song, Alter. Heftig«, sagt Haft in der Doku.

Alter! Mit 82 ist der Berliner Mey mehr als doppelt so alt wie Haft. Und auch sonst das Gegenteil: Seenotretter, Hubschrauberpilot und Mann an der Klampfe. Die Älteren kennen noch seinen größten Hit »Über den Wolken« von 1974. »In meinem Garten« ist noch älter: Roots-Reinhard, als ihn kaum jemand kannte.

Bruder! Mey kommt aus der Liedermaching-Szene der Burg Waldeck im Hunsrück der 60er Jahre. Charmantes Zwinkern, nie so hart links wie Degenhardt, Wecker und Wader. Aber pazifistisch stabil. Er sang 1986 gegen das Militär: »Nein, meine Söhne geb’ ich nicht«. Damit gab es kürzlich Ärger mit dem SWR. Auch diesen Song sollte man sich merken. In der neuen Zeit der Hochrüstung, mit oder ohne Garten.

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