Im Schatten des Mindestlohns

Der Bundestag hat die Verdienstgrenze für Minijobs erhöht, bei denen Beschäftigte oft um ihre Lohnansprüche geprellt werden

Im Gastgewerbe und Einzelhandel haben besonders viele Beschäftige lediglich einen Minijob.
Im Gastgewerbe und Einzelhandel haben besonders viele Beschäftige lediglich einen Minijob.

Wenn Forschende immer wieder darauf hinweisen, dass sogenannte Minijobber meist weniger Geld erhalten als das Gesetz erlaubt, was tut dann der Gesetzgeber? Er stellt sicher, dass Unternehmen eher mehr als weniger Menschen als Minijobber arbeiten lassen können. So geschehen am Freitag: Der Bundestag hat beschlossen, die Verdienstgrenze für diese Jobs ab Oktober von 450 auf zunächst 520 Euro zu erhöhen. Künftig gilt die Regel: Wer bis zu zehn Stunden pro Woche zum Mindestlohn arbeitet, darf als Minijobber angeheuert werden. Wenn besonders viel los ist, zum Beispiel in der Weihnachtszeit, können Kaufhäuser und Hotels die Menschen auch mal 20 Stunden in der Woche arbeiten lassen, ohne dass sie ihnen eine sozialversicherungspflichtige Stelle anbieten müssen.

Mit diesen Regelungen hat der Bundestag die ebenfalls am Freitag von ihm beschlossene Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro verwässert.

Gesetzesverstöße »eher die Regel als die Ausnahme«

Minijobber dürfen derzeit maximal 450 Euro im Monat verdienen. Unternehmen müssen darauf Sozialabgaben zahlen, die Beschäftigten nicht. Sie sind deshalb nicht sozialversichert und erhalten beispielsweise kein Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld. Wie andere Beschäftigte haben sie jedoch Anspruch auf Lohnfortzahlung bei Krankheit und bezahlten Urlaub. Doch oft werden ihnen diese Rechte vorenthalten, so Frederic Hüttenhoff von der Universität Duisburg-Essen. Sie erhalten damit weniger Geld, als ihnen zusteht. Die Forschung zeige, dass solche Gesetzesverstöße in der Praxis »eher die Regel als die Ausnahme« seien, erläuterte Hüttenhoff den Bundestagsabgeordneten in seiner Stellungnahme für den Ausschuss für Arbeit und Soziales im Mai.

Nicht nur deshalb sei die geplante Ausweitung der Minijobregelung abzulehnen. Auch der Gleichstellungsbericht der Bundesregierung aus dem Jahre 2011 habe kritisiert, dass diese Jobform insbesondere für Frauen eine Sackgasse sei. Die zuständige Kommission habe ebenso wie viele andere Fachleute und Forschungseinrichtungen dafür plädiert, geringfügige Beschäftigung einzudämmen.

Doch das Bündnis aus SPD, Grünen und FDP hat anders entschieden. Die Minijobregelungen sind auch in der Koalition umstritten. Gleichzeitig, so ist zu hören, wollten Grüne und SPD jetzt auf jeden Fall die Mindestlohn-Erhöhung verabschieden.

Und so sieht der Doppelbeschluss des Bundestags nun vor, dass Beschäftigte ab Oktober Anspruch auf mindestens zwölf Euro brutto pro Arbeitsstunde haben. Zusammen mit den bereits zuvor beschlossenen Erhöhungen steigt der Mindestlohn damit in diesem Jahr um rund zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Die Anhebung im Oktober führe zu »substanziellen Einkommenszuwächsen bei mindestens 6,2 Millionen Menschen«, schätzt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Das Statistische Bundesamt geht sogar davon aus, dass rund 7,2 Millionen Menschen Anspruch auf eine höhere Vergütung haben.

Gleichzeitig fördert der Bundestag die betrugsanfälligen Minijobs und trägt so dazu bei, dass Unternehmen die Arbeitskosten an anderer Stelle drücken können, indem sie den Beschäftigten bezahlten Urlaub und Lohnfortzahlung bei Krankheit verwehren. Dies »bringt für Unternehmen erhebliche Kostenvorteile«, betonte Hüttenhoff.

Zu erwarten sei, dass »sich die Zahl der Minijobber*innen durch die Heraufsetzung und Dynamisierung der Geringfügigkeitsgrenze kräftig erhöht«. Denn die Verdienstgrenze steigt künftig automatisch, wenn der Mindestlohn angehoben wird. Dabei gibt es schon heute mehr als sieben Millionen Minijobs, die meisten im Handel und Gastgewerbe, Hunderttausende jedoch auch in der Industrie, im Gesundheitswesen und anderen Dienstleistungsbranchen. Vier Millionen Frauen und drei Millionen Männer haben zuletzt als geringfügig Entlohnte gearbeitet.

Laut Gesetz ist es ab Oktober auch gestattet, dass Minijobber in zwei Monaten pro Jahr 20 Wochenstunden arbeiten und maximal 1040 Euro erhalten, ohne dass sie sozialversicherungspflichtig angestellt werden müssen. Umgerechnet liegt die tatsächliche Verdienstgrenze damit im Schnitt bei rund 607 Euro pro Monat. Diese Regelung sei möglicherweise in guter Absicht formuliert worden, vermutet Gerhard Bosch von der Uni Duisburg-Essen. Denn bereits heute gibt es Richtlinien der Sozialversicherungen, die Ähnliches vorsehen. »Die praktischen Auswirkungen werden aber verheerend sein«, prophezeite der Professor in seiner Stellungnahme für die Abgeordneten. Viele hätten die Richtlinien gar nicht gekannt, nun gebe es eine Rechtsnorm, die eine viel stärkere Wirkung habe: »Rechtsanwaltskanzleien und Arbeitgeberverbände werden interessierte Unternehmen sofort über die neue Regelung informieren« und die Minijobgrenze werde in der Praxis auf rund 607 Euro pro Monat angehoben.

In der Gesetzesbegründung heißt es: Es solle verhindert werden, dass Minijobs als Ersatz für reguläre Arbeitsverhältnisse missbraucht werden. Dem soll diese Regelung dienen. Bosch leuchtet diese Argumentation nicht ein.

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