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Renten: So geht es auch

Die neue Arbeitsministerin will Selbstständige und Beamte in die Rentenversicherung einbeziehen. In Österreich gibt es längst einheitliche Regeln

  • Eva Roth
  • Lesedauer: 7 Min.
Viele Lehrkräfte, Polizist*innen und Beschäftigte in kommunalen Ämtern und Ministerien sind Beamte.
Viele Lehrkräfte, Polizist*innen und Beschäftigte in kommunalen Ämtern und Ministerien sind Beamte.

Die einen warnen vor höheren Ausgaben, andere hoffen auf mehr Solidarität: Die neue Arbeitsministerin Bärbel Bas hat mit ihrem Vorschlag, auch Beamte und Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, eine breite Debatte ausgelöst. In Österreich wurde bereits vor Jahrzehnten das Rentensystem vereinheitlicht – maßgeblich beteiligt daran war die konservative ÖVP. Wie sieht das »Modell Österreich« aus?

»In die Rentenversicherung sollten auch Beamte, Abgeordnete und Selbstständige einzahlen. Wir müssen die Einnahmen verbessern«, sagte die SPD-Arbeitsministerin Bas am vorigen Wochenende. Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Rentenkommission solle sich damit befassen. SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt verwies auf Österreich. Das Land zeige, dass ein solches Modell funktionieren könne.

Der Koalitionspartner CDU reagierte zwar ablehnend, versuchte aber nicht, den Vorschlag komplett abzuschmettern: »Man kann über alles reden, aber es ist kein tragbares Finanzierungsmodell«, kommentierte Kanzleramtschef Thorsten Frei. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte der »FAZ«, die Koalition solle zunächst die konkret vereinbarten Vorhaben umsetzen. »Danach können wir gern ergebnisoffen über alle möglichen Ideen sprechen.«

Unterstützung für Selbstständige

In Österreich, wo Renten Pensionen heißen, ist die Politik schon vor Jahrzehnten zu Ergebnissen gekommen. Bereits in den 1970er Jahren hat die Regierungsmehrheit unter dem sozialdemokratischen Kanzler Bruno Kreisky Selbstständige und Landwirte in die gesetzliche Pensionsversicherung einbezogen. Selbstständige sollten im Alter finanziell abgesichert sein, sagt Wolfgang Panhölzl, Leiter der Abteilung Sozialversicherung bei der Arbeitskammer Wien, zu »nd.DieWoche«. Der Staat unterstützt die Absicherung: Selbstständige zahlen ihre Beiträge, etwa die Hälfte der Mittel seien Bundeszuschüsse.

Im Jahr 2004 hat die konservativ-rechte Koalition aus ÖVP und FPÖ dann die Altersbezüge von Beamt*innen angeglichen. Sie haben zwar weiter eine separate Altersvorsorge, diese wird jedoch schrittweise an die Rentenversicherung angepasst. So gelten für Bundesbeamte, die ab 1976 geboren oder ab 2005 in den Staatsdienst eingetreten sind, bereits die gleichen Regeln wie für andere Erwerbstätige. Die Formel, die damals entwickelt wurde, lautet: Nach 45 Beitragsjahren sollen alle Versicherten im Alter von 65 Jahren eine Pension von 80 Prozent des Lebensdurchschnittseinkommens erhalten. Wer immer durchschnittlich verdient hat, erhält demnach als Rente 80 Prozent des aktuellen Durchschnittslohns, unabhängig davon, ob die Person Beamter oder Angestellter einer Privatfirma ist.

Die Arbeitskammer Wien, die den gesetzlichen Auftrag hat, die Interessen der Beschäftigten zu vertreten, bewertet die Reform heute positiv. »Es ist entgegen dem internationalen Trend gelungen, dem Privatisierungsdruck standzuhalten und eine starke öffentliche Versorgung beizubehalten«, betont Panhölzl. Dass eine konservativ-rechte Koalition die Angleichung in dieser Form beschlossen hat, erklärt er so: Im Jahr zuvor, 2003, habe die Regierung drastische Rentenkürzungen beschlossen. Dagegen gab es massiven Widerstand von Sozialdemokraten und Gewerkschaften, die damals die größten Streiks seit Jahrzehnten organisierten. Einige der beschlossenen Leistungskürzungen milderte die Koalition daraufhin ab. Bei der Anpassung der Beamtenpensionen habe die Regierung dann eine breite Akzeptanz angestrebt und die Sozialpartner bei der Planung einbezogen.

Fakt ist jedoch auch: Durch Reformen wie das »Pensionsharmonisierungsgesetz« von 2004 spart der Staat Geld. Insbesondere besserverdienende Beamt*innen erhalten dadurch geringere Altersbezüge. Denn die Pensionen richten sich nicht mehr nach dem letzten, meist höchsten Gehalt, sondern wie bei allen anderen Beschäftigten nach dem Verdienst während der gesamten Berufstätigkeit. Zudem sind die Altersbezüge gedeckelt. Derzeit werden Pensionsbeiträge bis zu einem Gehalt von 6450 Euro erhoben, nur bis zu diesem Gehalt erwerben die Leute auch Rentenansprüche – ähnlich wie in Deutschland.

Was die Vereinheitlichung im Vergleich zu Deutschland erleichtert hat: Sie war technisch nicht so kompliziert, weil Beamt*innen schon früher Pensionsversicherungsbeiträge bezahlt haben, was hierzulande nicht der Fall ist. Noch wichtiger ist wohl die Akzeptanzfrage: Es ist einfacher, für die Einbeziehung von Beamt*innen zu werben, wenn das einheitliche Rentenniveau mit 80 Prozent relativ hoch ist. In Deutschland ist es deutlich niedriger, Staatsbedienstete würden viel mehr verlieren, wenn auch für sie dieses Level gilt.

Mehr Geld für alte Menschen

Dank des höheren Rentenniveaus sind Erwerbstätige in Österreich im Alter viel besser abgesichert als in Deutschland. Das zeigen auch Daten der Industrieländer-Organisation OECD, die regelmäßig die Rentenniveaus in verschiedenen Ländern auf vergleichbarer Basis berechnet. Also zum Beispiel: Welche gesetzliche Rente erhalten junge Beschäftigte, die lebenslang einen Durchschnittslohn erhalten und bis zum gesetzlichen Rentenalter berufstätig sind? In Deutschland können diese Personen damit rechnen, dass sie rund 55 Prozent ihres Nettolohns als Nettorente ausbezahlt bekommen. In Österreich sind es hingegen 87 Prozent. Zugrundegelegt wird dabei die aktuelle Gesetzeslage. Auch beim Rentenalter ist Österreich arbeitnehmerfreundlicher. Die gesetzliche Altersgrenze beträgt dort für Männer 65 Jahre, für Frauen ist sie derzeit noch niedriger und wird sukzessive angehoben.

Allerdings müssen Erwerbstätige mindestens 15 Versicherungsjahre nachweisen, damit sie überhaupt eine Rente erhalten, in Deutschland sind es fünf Jahre. Überdies sind die Abschläge bei Rentenantritt vor dem Regelalter höher. Dennoch habe Österreich ein viel höheres Leistungsniveau, erklärt die Berliner Ökonomin Camille Logeay gegenüber »nd.DieWoche«. Sie hat zusammen mit anderen Wissenschaftlern die tatsächlich gezahlten Bruttorenten von verschiedenen Rentnergruppen verglichen.

Die höheren Altersbezüge sind möglich, weil mehr Mittel in die Rentenversicherung fließen. So betragen die Rentenbeiträge in Österreich seit 1988 unverändert insgesamt 22,8 Prozent. Arbeitgeber zahlen dabei mit 12,55 Prozent sogar mehr als Beschäftigte (10,25 Prozent). In Deutschland liegt der Gesamtbeitrag lediglich bei 18,6 Prozent. Auch die gesamten staatlichen Ausgaben für Altersleistungen sind in Österreich, bezogen aufs Bruttoinlandsprodukt, höher als hierzulande.

In Deutschland fordern SPD, Grüne, die Linke und Gewerkschaften wie die IG Metall seit Langem eine Erwerbstätigenversicherung. Der Koalitionsvertrag sieht nun immerhin vor, »alle neuen Selbstständigen, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem zugeordnet werden, in die gesetzliche Rentenversicherung« einzubeziehen. Das wäre sozialpolitisch sinnvoll, um etwa Solo-Selbstständige mit geringen Einkünften vor Armut im Alter zu bewahren. Dies dürfte nur dann gut gelingen, wenn der Staat wie in Österreich einen Teil der Beiträge übernimmt.

Bei der Einbeziehung von Beamt*innen geht es der IG Metall um mehr Solidarität. »Alle Erwerbstätigen müssen in einem gemeinsamen und gesetzlichen Solidarsystem organisiert sein«, betont etwa IG-Metall-Sozialvorstand Hans-Jürgen Urban, der den Bas-Vorschlag unterstützt.

In der Debatte darüber ging es indes oft nicht um soziale und verteilungspolitische Fragen, also: Wie soll die Politik Erwerbstätige im Alter absichern? Und wie werden die Kosten verteilt? Vielmehr wurde häufig eher finanzpolitisch argumentiert. Auch Bas selbst betonte, dass die Einnahmen der Rentenversicherung erhöht werden sollten. Doch auch hier stellt sich die Frage, woher die zusätzlichen Einnahmen kommen.

Bisher werden auf Beamtenbezüge keine Pensionsbeiträge erhoben. Angenommen, künftig werden neue Beamt*innen in die Rentenversicherung einbezogen. Wenn ihre Nettogehälter gleich bleiben sollen, müssen öffentliche Arbeitgeber dann die Bruttobezüge erhöhen und zusätzlich den Arbeitgeberanteil der Rentenbeiträge zahlen. Der Staat hätte also zunächst höhere Arbeitskosten, sagt der Rentenexperte Johannes Geyer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) »nd.DieWoche«.

Die zusätzlichen staatlichen Ausgaben kämen als zusätzliche Einnahmen bei der Rentenversicherung an. Dadurch würde sie in den nächsten Jahrzehnten etwas entlastet, also in der Zeit, in der die geburtenstarken Jahrgänge Rente beziehen. Denn zunächst würden zusätzliche Beiträge von den Neuversicherten fließen, in Ruhestand gehen würden die meisten davon erst in vielen Jahren.

Langfristig würden die Ausgaben jedoch steigen, denn auch künftige Beamtenrenten müssen aus dem Umlagesystem gezahlt werden, argumentiert das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Doch hier handelt es sich nicht um zusätzliche Kosten. Denn die Ausgaben für Beamtenpensionen fallen auch jetzt an, merkt der Ökonom Rudolf Zwiener gegenüber »nd.DieWoche« an. Derzeit kommt das Geld aus Steuermitteln. In Österreich hat die Politik im Zuge der Pensionsharmonisierung vor allem die Altersbezüge von besserverdienenden Beamt*innen gekürzt.

Wenn sich deutsche Politiker*innen Österreich zum Vorbild nehmen wollen, wäre das aber kein Sparprogramm. Denn zum Kern des »Modells Österreich« gehört ein viel höheres Rentenniveau als hierzulande, finanziert mit deutlich höheren Mitteln für die Absicherung von Erwerbstätigen im Alter.

Die Rente: Zu teuer?

In der Rentendebatte warnen Ökonom*innen und Arbeitgeberverbände regelmäßig vor zu hohen Kosten. Das haben sie nach dem Bas-Vorschlag, Beamt*innen in die Rentenversicherung einzubeziehen, getan. Das haben sie auch bei den fest verabredeten Vorhaben von Schwarz-Rot gemacht. Aber wann sind die Kosten zu hoch?

Konkret hat die Koalition vereinbart, das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent zu stabilisieren. Das ist eine Verbesserung zur aktuellen Rechtslage, nach der es sinken kann. Zudem soll ein abschlagsfreier Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren weiterhin möglich sein. Die »Mütterrente« soll künftig unabhängig vom Geburtsjahr des Kindes gewährt werden. 28 Ökonom*innen wandten sich Anfang April gegen diese Pläne. In einem gemeinsamen Brief an die Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD forderten sie laut »SZ«: »Um die Tragfähigkeit der Rentenfinanzen dauerhaft zu sichern, müssen all diese teuren Leistungsausweitungen unterlassen werden.« Zu den Unterzeichner*innen gehören vier der fünf sogenannten Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung beraten. Auch der erwartete Anstieg der Rentenbeiträge wird von Wirtschaftsliberalen in Politik, Medien und Wissenschaft als Bedrohung dargestellt.

Ob all dies zu teuer und zu hoch sei, ist indes Ansichtssache. »Man kann wissenschaftlich nicht herleiten, wann Beiträge oder staatliche Sozialausgaben zu hoch sind«, sagt der Sozialforscher Florian Blank von der Hans-Böckler-Stiftung »nd.DieWoche«. Aus sozialpolitischer Sicht sei zunächst einmal die Frage: »Ist das, was Rentner erhalten, fair? Wie sehen das nicht nur alte Menschen, sondern auch ihre Kinder und Enkel? Wofür gibt es einen ausreichenden gesellschaftlichen Konsens?« Dann stelle sich die Verteilungsfrage: Wer zahlt was?

Als Beispiel nennt Blank die Riesterrente. Bei ihrer Einführung argumentierte die Politik: Damit die Beiträge nicht zu stark steigen, muss das Rentenniveau sinken. Wenn die Menschen im Alter ihren Lebensstandard trotzdem einigermaßen sichern wollen, müssen sie zusätzlich privat vorsorgen. Inklusive staatlicher Zuschüsse sollten sie vier Prozent ihres Bruttoeinkommens fürs Alter anlegen. Letztlich wurden damit die Kosten auf die Beschäftigten verlagert. Für diejenigen, die Geld zurücklegen können, wurde die Absicherung für den Ruhestand teurer. Die Arbeitgeber wurden entlastet. rt

Selbstständige sind in Österreich seit den 1970er Jahren in die Rentenversicherung einbezogen.

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