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Weltrauminstitut im freien Fall

Brasiliens Regierung kürzt seit Jahren das Budget, um unbequeme Daten zur Waldzerstörung zu vermeiden

  • Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer den INPE-Campus in São José dos Campos im Bundesstaat São Paulo besucht, kann den Verfall mit eigenen Augen sehen. Ein Universitätsgelände mit von Schlaglöchern übersäten Straßen und bröckelnden Bürgersteigen. Das einst renommierte Institut könne heute kaum mehr seine Stromrechnung bezahlen, beklagt INPE-Forscherin Evlyn Marcia Leão de Moraes Novo jüngst gegenüber dem US-Wissenschaftsjournal »Science«. Der heruntergekommene Campus ist jedoch nur der sichtbare Teil der strukturellen Krise des Weltraumforschungsinstituts, ausgelöst durch scharfe Budgetkürzungen. Im Jahr 1990 arbeiteten hier noch rund 2000 Menschen Vollzeit. Heute sind es gerade einmal 753. Damit fehlt für viele Forschungsfelder Wissenschafts- und Wartungspersonal.

Es ist kein Geheimnis, dass das INPE und seine für den Waldschutz wichtige Satellitenüberwachung dem amtierenden brasilianischen Staatspräsidenten ein Dorn im Auge sind. Bereits 2019 beschuldigte Jair Bolsonaro das INPE, falsche Daten zur Abholzung veröffentlicht zu haben und feuerte daraufhin den Direktor des Instituts Ricardo Galvão. Anstelle des weltweit renommierten Physikers setzt der rechte Präsident einen Oberst der Luftwaffe im Ruhestand, Darcton Damião, vorübergehend auf den Chefsessel. Sein Nachfolger wurde der Geophysiker Clezio Marcos de Nardin.

INPE hat eine über fünfzigjährige erfolgreiche Geschichte hinter sich. 1961 hatte die damalige brasilianische Regierung das Institut gegründet, um am globalen Rennen zur Erkundung des Weltraums teilzunehmen. In den 1970er Jahren dann wurde das Weltraumforschungsinstitut in São Paulo – unter der damaligen Militärregierung – die erste Institution weltweit, die großflächige Waldabholzung mithilfe von Satellitendaten des US-amerikanischen Landsat-Programms überwachte.

1989 startete INPE schließlich das erfolgreiche Überwachungsprogramm PRODES, im Jahr 2004 gefolgt von DETER zur Kontrolle von Abholzung und Waldbränden in Echtzeit: Ein Meilenstein für den Waldschutz, der der brasilianischen Umweltbehörde IBAMA die Bekämpfung von illegaler Abholzung und Brandrodung vor Ort ermöglicht.

Noch im Jahr 2010 investierte die Regierung in Brasilia 13 Millionen Dollar in einen INPE-Supercomputer mit dem indigenen Namen »Tupã« (Gott des Donners), damals einer der 30 leistungsstärksten Computer der Welt. Doch heute ist Tupã veraltet und überlastet. Die fehlenden Geldmittel zum Update des Supercomputers gefährdeten die Klimaforschung des Landes, Wettervorhersagen und die Mission von INPE selbst, beklagt der Umweltphysiker Paulo Artaxo von der Universität São Paulo in »Science«.

Zweifellos stellt der amtierende rechte Präsident Bolsonaro so etwas wie den Sargnagel von INPE dar. Doch der Niedergang mit den Budgetreduzierungen begann bereits 2015 unter der ersten Amtszeit der linken Präsidentin Dilma Rousseff.

Schon die während der achtjährigen Regierung ihres Vorgängers Lula da Silva gegen den Widerstand von Wissenschaftlern, Menschenrechtlern und Umweltschützern durchgesetzten Megabauten wie die beiden Riesenstaudämme am Rio Madeira, das umstrittene Wasserkraftwerk Belo Monte am Rio Xingu sowie die Teilumleitung des Rio São Francisco und die Fertigstellung des Atomkraftwerks Angra 3 hatten die Staatskasse schwer strapaziert. Doch Großevents wie die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele von 2016 gaben der Wirtschaft des Landes den Rest. Brasilien stürzte in eine Wirtschaftskrise und viele öffentliche Institutionen mussten Kürzungen hinnehmen. Monatelang konnten nicht einmal die Gehälter von Lehrern gezahlt werden. Nach Angaben der Analyse- und Nachrichtenplattform »InfoAmazonia« kürzte damals die Rousseff-Regierung die Ausgaben für den Schutz des Amazonasregenwaldes und damit auch das Budget von INPE um 72 Prozent.

Der Niedergang des Weltraumforschungsinstituts ging mit dem Amtsantritt Bolsonaros weiter, obwohl dieser im Wahlkampf noch versprochen hatte, der Wissenschaft Vorrang einzuräumen. Der rechte Präsident kürzte weiter das jährliche Budget von Inpe, das im Jahr 2010 noch mehr als 200 Millionen Reais (damals rund 60 Millionen Euro) betrug, auf heute rund 92 Millionen Reais. Doch laut INPE-Direktor Clezio De Nardin benötige das Institut mindestens das Doppelte, um seine Aufgaben erfüllen zu können.

Januar dieses Jahres meldete die angesehene Nachrichtensendung »Jornal Nacional«, dass INPE das für die Überwachung des Cerrado zuständige 20-köpfige Wissenschaftlerteam aufgrund fehlender Geldmittel auflösen müsse. Das Team hat seit 2016 täglich Satellitendaten über die Abholzung dieser an Arten reichen Savanne ausgewertet und dokumentiert. Die Finanzierung dafür kam aus einem Fonds der Weltbank. Doch laut »Jornal Nacional« habe die Regierung Bolsonaro dieses Abkommen mit der Weltbank nicht weiter verlängert.

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