Mensch Merkel

Robert D. Meyer über die freie Meinung von Amtsträger*innen

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 2 Min.

Äußert sich da gerade ein Regierungsmitglied oder die Parteipolitikerin? Für die Öffentlichkeit kaum unterscheidbar, juristisch macht es einen Unterschied, sagt das Bundesverfassungsgericht. Amtsträger*innen in einer Regierung dürfen sich demnach nicht über politische Mitbewerber*innen äußern, damit die Chancengleichheit gewahrt bleibe. Doch es folgt ein großes Aber.

Dieser Punktsieg der sich nun als Opfer inszenierenden AfD wäre vermeidbar gewesen. Geklagt hatte die Partei gegen eine Äußerung von Angela Merkel im Jahr 2020, als diese auf einer Pressekonferenz im fernen Südafrika die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich mit den Stimmen von AfD und CDU zum Thüringer Ministerpräsidenten »als schlechten Tag für die Demokratie« kritisierte. Hätte Merkel ihrer Äußerung die kurze Bemerkung vorangestellt, dass sie sich nicht als Kanzlerin, sondern als CDU-Politikerin äußert, wäre Karlsruhe am Mittwoch zu einem anderen Urteil gekommen. Ein Recht auf Meinung hat auch der Privatmensch Merkel, sofern ihre Kemmerich-Äußerung nicht auch noch auf einer Regierungswebsite nachzulesen ist. Ihren Standpunkt äußern ist in Ordnung, zu dessen Verbreitung aber Mittel zu nutzen, über die Merkel nur verfügt, weil sie Kanzlerin war, überschreitet eine Grenze. Man fragt sich, warum niemand aus dem mitreisenden Regierungstross auf solche Spitzfindigkeiten achtete.

Darum handelt es sich hier. Das Urteil wird unserer modernen Mediengesellschaft kaum gerecht, wie auch eine Karlsruher Richterin in einem Sondervotum kritisierte. Spätestens in der medialen Weiterverbreitung des Gesagten verschwimmt die Grenze zwischen Amts- und Privatperson. Kanzlerin, CDU-Politikerin, Mensch Merkel – in der damaligen öffentlichen Wahrnehmung waren das faktisch Synonyme.

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