Klartext in falscher Funktion

Bundesverfassungsgericht: Kanzlerin Merkel verletzte mit Äußerungen zu Kemmerich-Wahl Rechte der AfD

Es war ein Paukenschlag: Am 5. Februar 2020 wählte der Thüringer Landtag mit den Stimmen von FDP, CDU und AfD den FDP-Mann Thomas Kemmerich zum neuen Ministerpräsidenten. Kemmerich nahm die Wahl an. Der Aufschrei hierzulande ob des ersten Falls, dass demokratische Parteien einen Ministerpräsidenten mit Hilfe der AfD ins Amt hieven, war derart laut, dass sich die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) selbst auf Staatsbesuch in Südafrika einen Tag später dazu bemüßigt fühlte, das Geschehen in Thüringen zu kommentieren. Während einer Pressekonferenz mit dem südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa. Merkel bezog damals klar Stellung gegen die Wahl Kemmerichs und die AfD – in der Rückschau allerdings zur falschen Zeit, am falschen Ort und allem voran: in der falschen Funktion.

Denn wie das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch urteilte, und damit einer Klage der AfD stattgab, haben die kritischen Äußerungen der Kanzlerin »und deren anschließende Veröffentlichung auf den Internetseiten der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung die Partei Alternative für Deutschland (AfD) in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt«, wie das Gericht mitteilte.

Wörtlich hatte Merkel damals zu Beginn der Pressekonferenz angekündigt, »aus innenpolitischen Gründen eine Vorbemerkung machen« zu wollen, »und zwar bezogen auf den gestrigen Tag, an dem ein Ministerpräsident in Thüringen gewählt wurde«. Die Wahl sei »ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung für die CDU und auch für mich gebrochen hat, dass nämlich keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen«, fuhr die Kanzlerin fort. Des weiteren bezeichnete Merkel den Vorgang als »unverzeihlich«, weshalb »das Ergebnis rückgängig gemacht werden muss«. »Es war ein schlechter Tag für die Demokratie«, schloss die Kanzlerin damals.

Zur Begründung ihrer Entscheidung führen die Richter*innen unter anderem aus, dass »die streitgegenständliche Äußerung« durch Merkel »in amtlicher Funktion getätigt« worden sei: »Sie fiel im ausschließlich amtsbezogenen Rahmen einer Regierungspressekonferenz, deren Anlass sowie vorgesehener Gegenstand Gespräche waren, welche« Merkel »in ihrer Eigenschaft als Bundeskanzlerin im Rahmen eines Staatsbesuchs in Südafrika geführt hatte«. Weder die Ankündigung einer »Vorbemerkung« noch, dass diese »aus innenpolitischen Gründen« erfolge, ändere etwas »am amtlichen Charakter der Äußerung«, so das Gericht.

Explizit weisen die Richter*innen darauf hin, dass Merkel sich durchaus hätte äußern können, allerdings eben nicht erkennbar als Kanzlerin. So wäre es Merkel »unbenommen gewesen, mit hinreichender Klarheit darauf hinzuweisen, dass sie sich zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen nicht in ihrer Eigenschaft als Bundeskanzlerin, sondern als Parteipolitikerin oder Privatperson äußern werde. Von dieser Möglichkeit hat sie keinen Gebrauch gemacht«, so das Gericht.

Des weiteren urteilten die Richter*innen, dass Merkels Ausführungen »negative Qualifizierungen« der AfD enthalten und die Kanzlerin dadurch »in einseitiger Weise auf den Wettbewerb der politischen Parteien eingewirkt« habe. Mit ihrer negativen Bewertung der AfD habe Merkel »die durch das Neutralitätsgebot vorgegebenen inhaltlichen Grenzen ihrer Äußerungsbefugnisse überschritten«.

Nach dem Urteil ließ Merkel gegenüber der dpa durch eine Sprecherin mitteilen: »Bundeskanzlerin a.D. Dr. Angela Merkel respektiert selbstverständlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.« Inhaltlich ließ sie nichts verlautbaren. Auch Kemmerich äußerte sich am Mittwoch als Sprecher der FDP im Thüringer Landtag eher knapp: »Ich möchte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht näher bewerten. Ich habe großen Respekt vor dem Gericht«, so der Landtagsabgeordnete. »Darüber hinaus urteilt es über eine Verletzung von Rechten einer Partei, die innerhalb des Thüringer Parlaments dadurch auffällt, dass sie das demokratische System beschädigen möchte«, so Kemmerich weiter.

Mit seinem Urteil setzt Karlsruhe seine Linie in derartigen Fällen fort. So hat die AfD im Jahr 2020 bereits erfolgreich unter anderem gegen den damaligen Innenminister Horst Seehofer (CSU) geklagt, der AfD-kritische Äußerungen aus einem Interview auf der Homepage seines Ministeriums veröffentlicht hatte. Auch die damalige Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) zog im Jahr 2015 gegen die AfD den Kürzen, nachdem sie auf einen Demonstrationsaufruf der AfD mit mit einer Ministeriums-Pressemitteilung reagiert hatte. Unumstritten ist diese Linie dabei nicht. Die Entscheidung gegen Merkel fiel im zuständigen Senat mit fünf zu drei Richter*innenstimmen. Zudem gab Richterin Astrid Wallrabenstein ein Sondervotum ab, in dem sie ihre gegenteilige Auffassung ausführt.

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