- Politik
- Gescheitertes »Compact«-Verbot
Remigrationskonzept verfassungsfeindlich
Das Bundesverwaltungsgericht veröffentlicht das Urteil zum gescheiterten »Compact«-Verbot
Mitte Juni hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das extrem rechte »Compact«-Magazin nicht verbotswürdig ist. Die Leipziger Richter nahmen sich damals schon in ihrer mündlichen Urteilsbegründung viel Zeit und erklärten, dass viel Widerwärtiges und Menschenverachtendes in dem Magazin steht, es insgesamt aber nicht für ein Verbot reiche. Es gebe auch eine Reihe unproblematischer Artikel in dem Magazin, zudem könne man einen gewissen Debattencharakter bei »Compact« erkennen, hieß es damals.
Was seinerzeit mehrfach erwähnt wurde, ist das Remigrationskonzept des österreichischen Identitären-Aktivisten Martin Sellner. Es wurde schon in der mündlichen Begründung als klar gegen die Menschenwürde gerichtet eingestuft. Auch wegen der Frage, wie die Richter ihre Einschätzung von Sellners Konzept präzisieren, war in Fachkreisen mit Spannung auf die schriftliche Urteilsbegründung gewartet worden. Vor wenigen Tagen hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil nun veröffentlicht.
Auf das Remigrationskonzept geht das Gericht dabei mehrfach und ausführlich ein. Die Bewertung ist eindeutig: »Nach alledem erweist sich das auf die Bewahrung einer ›ethnokulturellen Identität‹ ausgerichtete sogenannte ›Remigrationskonzept‹ Martin Sellners in Bezug auf die deutschen Staatsangehörigen als nicht egalitär und daher menschenwürdewidrig.« Im Urteil zitiert das Gericht mehrere Videos, in denen Sellner sein Konzept vorstellt. Darin spricht er unter anderem davon, dass unabhängig von einer verliehenen oder per Geburt erhaltenen deutschen Staatsbürgerschaft »Remigrationsdruck« erzeugt werden müsse. Dies könne etwa dadurch geschehen, dass »fremde Kulturen im öffentlichen Raum nicht mehr stattfinden dürften, auch keine fremden Speisegebote, keine fremden Feiertage und keine fremden Sprachen«.
Vollverschleierung will Sellner in der Öffentlichkeit verbieten. Unter den etwa 12,2 Millionen deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund befänden sich 5 bis maximal 6 Millionen Staatsbürger, die »möglicherweise für eine Remigrationspolitik in Frage kämen, weil sie sich nicht assimilieren wollen, können und daher dauerhaft auch nicht in das Land passen, sondern eher besser in einem anderen Land leben sollen«, so Sellner in einem der Videos.
Für das Gericht ist klar, dass diese Pläne die rechtliche Gleichheit von Staatsbürgern infrage stellen: »Sellners Pläne gehen von einem Vorrang der ethnisch-kulturell Deutschen aus, denen das Heimatrecht in Deutschland exklusiv zusteht. Diese sind gleichsam Staatsbürger erster Klasse. Demgegenüber wird deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund kein uneingeschränktes Bleiberecht zugestanden. Sie haben den Status von Staatsbürgern zweiter Klasse.«
Im Falle von »Compact« sieht das Bundesverwaltungsgericht die Bezüge auf Sellners Remigrationskonzept als nicht ausreichend für ein Verbot an. Für die AfD und die identitäre Bewegung dürfte das Urteil aber ein deutlicher Warnhinweis sein. In Österreich ist Martin Sellner Chef der Identitären und auch in Deutschland ist er die Galionsfigur. Bundesweit luden – gerade seit den Berichten über das »Geheimtreffen« von Potsdam, bei dem es um Sellners Plan ging – identitäre Gruppen den Österreicher zu Remigrationsvorträgen ein. Die Forderung nach Remigration ist für die Identitären zentral, die Verknüpfung zu Sellner eindeutig. Für ein vereinsrechtliches Verbot könnte das ausreichen.
Akute Angst vor einem Verbot muss die AfD nicht haben. Dazu fehlt der politische Wille. Trotzdem nimmt man den Hinweis auch in der Partei als Warnung. Der Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah predigt seit dem Sommer, dass man sich von Martin Sellner und seinen Remigrationskonzepten distanzieren müsse. Er hat dafür einen veritablen Streit mit der neurechten Führungsfigur Götz Kubitschek riskiert. Andere in der AfD propagieren weiterhin Remigration als zentralen inhaltlichen Baustein für die Partei. Der Verfassungsschutz wird da wohl künftig noch genauer hinschauen und es bei eventuellen Hochstufungen zu berücksichtigen wissen.
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