Wenig Respekt gegenüber Suizidwilligen

Die Differenzen zum Recht auf selbstbestimmtes Sterben ziehen sich durch alle Bundestagsparteien

  • Christa Schaffmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 26. Februar 2020 entschieden, dass Paragraf 217 Strafgesetzbuch, der bis Anfang 2020 die »geschäftsmäßige Suizidhilfe« verbot, verfassungswidrig und nichtig ist. Jeder Mensch – freiverantwortliches Handeln vorausgesetzt – hat das Recht auf einen selbstbestimmten Tod, und das unabhängig davon, ob er schwer krank ist. Und da Suizid nicht verboten ist, kann auch die Hilfe beim Suizid nicht strafbar sein. Politiker und Lobbyisten aus Ärzteschaft und kirchlichen Kreisen sahen nach dem Karlsruher Urteil Regelungsbedarf in Form eines Gesetzes, was zu mehreren Entwürfen führte. Am 18. Mai fand im Bundestag eine Orientierungsdebatte über die künftige Regelung statt. Nach der ersten Lesung der verschiedenen vorliegenden Gesetzentwürfe soll die endgültige Entscheidung dann im Herbst fallen.

Nahezu alle Redner erwähnten in dieser Orientierungsdebatte immerhin das Recht jedes Bürgers auf ein selbstbestimmtes Sterben einschließlich der Inanspruchnahme von Hilfe dabei. Dass hinderte Helge Lindh (SPD), Ansgar Heveling (CDU), Kirsten Kappert-Gonthar (Bündnis 90/Die Grünen) jedoch nicht, gleichzeitig ein bundesweites Netz staatlich anerkannter Beratungsstellen zu fordern, die Suizidwillige vollumfänglich beraten müssten, was auch, so Lindh, suizid-präventiv sein könne.

Am eigentlichen Thema vorbei wurde Suizidprävention auch von anderen Abgeordneten in den Mittelpunkt gestellt, was übrigens inzwischen auch beim Hauptstadtsymposium des Pschychiatrieverbandes DGPPN Tenor war. Im Bundestag wurde ausführlich über den Druck gesprochen, unter dem Suizidwillige in vielen Fällen stünden, weil sie ihren Angehörigen Kosten ersparen wollten, so Kappert-Gonthar. Dass Armut, Personalmangel in Pflegeeinrichtungen, zu wenig Palliativangebote und Hospizplätze durchaus die Aufmerksamkeit des Parlaments verdienen, ist unstrittig. In diese Orientierungsdebatte gehörten sie jedoch nicht.

Widerspruch kam nicht erst in dieser Debatte von Katrin Helling-Plahr (FDP). Die Achtung des Karlsruher Urteils verlangt aus ihrer Sicht eine liberalere Lösung außerhalb des Strafrechts und mehr Respekt vor den Suizidwilligen. Man sollte sie nicht bedrohen, sich nicht über sie stellen, stattdessen echte Anlaufstellen für sie schaffen, ihnen die Beratung durch vertraute Ärzte gestatten, statt sie dazu zu zwingen, staatlich verordnete Einrichtungen aufzusuchen.

Auch Petra Sitte (Die Linke) betonte die durch Karlsruhe sehr deutlich gemachte freie Entscheidung jedes Menschen darüber, was für ihn ein lebenswertes Leben ist. Zu viele Hürden, wie in anderen Gesetzentwürfen vorgesehen, widersprächen dem Geist von Karlsruhe, denn »ein Recht, das sich in der Praxis nicht ausüben lässt, ist kein Recht«, so Sitte. Ihre Fraktionskollegin Kathrin Vogler hat sich dagegen der Gruppe um den SPD-Abgeordneten Lars Castellucci angeschlossen, deren Entwurf eine Vielzahl von Regeln enthält, was Kritiker bereits vor der Debatte von einem Bürokratiemonster sprechen ließ. Vogler wähnt ein »Marktsystem von Anbietern« für Suizidassistenz. Castellucci selbst betont, er wolle assistierte Suizide ermöglichen, aber nicht fördern. Im Detail kam das Ermöglichen bei ihm aber sehr kurz. Es gelte, vor allem den Lebenswillen zu unterstützen.

Im Gegensatz zur Mehrheit der Redner behauptete Marc Biadacz (CDU) im Mai, es dürfe in der Debatte nicht allein um das Recht des Individuums gehen. Der Tod sei keine Privatangelegenheit, er betreffe auch Angehörige, Freunde, und überhaupt gehe es um den Umgang der Gesellschaft mit Leben und Tod. Der Staat müsse Menschen und ihr Leben schützen. Sein Fraktionskollege Thomas Rachel verlangt von den Suizidenten sogar, sie sollten Rücksicht auf das medizinische Personal nehmen und ihren Sterbewunsch daraufhin prüfen, ob er für dieses zumutbar sei.

Renate Kynast (Bündnis 90/DieGrünen) erinnerte daran, dass es keinen Auftrag der Karlsruher Richter für ein neues Gesetz gegeben habe und somit auch nicht dessen strafrechtliche Verankerung. Der Regelbedarf sei bereits erfüllt, wenn selbstverantwortliches Handeln vorliegt und keine Tötung auf Verlangen stattfindet. Der von ihr zusammen mit anderen Abgeordneten vorgelegte Gesetzentwurf weist zwei mögliche Wege: In einer medizinischen Notlage sollte die Beratung zu Alternativen und Beurteilung (freiverantwortliches Handeln) durch zwei Ärzte ohne langen Aufschub zur Entscheidung und damit zur Verschreibung des Medikaments Natrium-Pentobarbital erfolgen. In zeitlich weniger dringenden Fällen, in denen ein glaubhafter Sterbewunsch vorliegt, sollten Ärzte des Vertrauens zugelassen sein.

Unter mehreren Abgeordneten grassiert die Sorge, geldgierige Menschen könnten an assistierten Suiziden verdienen. Auch die »väterliche Sorge« darum, dass Suizid zum Trend, gar zur neuen Normalität werden könnte, wurde ins Feld geführt. Nina Scheer (SPD) denkt ganz anders über den Begriff »Normalität«. Sie fürchtet, dass durch »die lebensfremden Visionen von massenhaften Suiziden« für lange Zeit ein Sterben in Würde durch einen assistierten Suizid erneut unmöglich gemacht werde. Nach Scheers Auffassung wird es immer Menschen geben, die ihr Leben selbstbestimmt beenden wollen.

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