Punktlandung im Punktetrikot

Simon Geschke kämpft verzweifelt für seinen Plan B

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
Simon Geschke durfte am Sonntag erstmals das offensichtlich sehr beliebte Bergtrikot der Tour de France überstreifen.
Simon Geschke durfte am Sonntag erstmals das offensichtlich sehr beliebte Bergtrikot der Tour de France überstreifen.

Für die deutschen Radprofis brachte diese Tour de France bisher vor allem Enttäuschungen mit sich. Sprinter Max Walscheid knabbert noch an Sturzfolgen vom Beginn der Tour, John Degenkolb versieht seinen neuen Job als oberster Helfer des Teams DSM zwar mit Leidenschaft und Übersicht. Er würde aber auch gerne mal länger in der Sprintvorbereitung für seinen Kapitän Alberto Dainese mitarbeiten als nur bis zur Drei-Kilometer-Marke, sagte er trocken zu »nd«. Dafür fehlen ihm aber offenbar noch ein paar Prozent zur Maximalleistung. Lennard Kämna ist bisher der größte Unglücksrabe dieser Rundfahrt. Weniger als 100 Meter fehlten ihm hinauf zur Planche des Belles Filles zum Etappensieg. Den machten dem Ausreißer schließlich die besten drei Fahrer im Feld zunichte: Dänemarks größte Hoffnung, Jonas Vingegaard, flog ebenso noch an Kämna vorbei wie Titelverteidiger Tadej Pogačar und dessen Landsmann Primož Roglič. Dem Norddeutschen blieb nur Platz vier.

Tom auf Tour
Tom Mustroph, Radsportautor und Dopingexperte, berichtet zum 21. Mal für "nd" von der Tour de France.

So hatte am Montag, dem zweiten Ruhetag der Tour, nur der gebürtige Berliner Simon Geschke Grund zum Strahlen. Der war schon bei Kämnas Tragödie in der Ausreißergruppe dabei und hatte sich schlau vier Bergpunkte gesichert. Die Mini-Auszeichnung zum kämpferischsten Fahrer des Tages nahm Geschke als Trostpreis hin, wie er »nd« erzählte, schließlich war auch ihm der Etappensieg verwehrt geblieben. Im Kopf hatte er aber längst einen Plan für Größeres geschmiedet.

Zwei Tage später, am Sonntag, war er wieder in der Fluchtgruppe unterwegs – und lieferte sich einen packenden Kampf mit dem späteren Etappensieger Bob Jungels um die Bergpunkte auf dem Weg zum Ziel. Am ersten Anstieg lag der heute in Freiburg lebende Geschke vor dem Luxemburger. Der setzte sich danach ab und eroberte am nächsten Berg als Solist so viele Zähler, dass er in der Gesamtwertung um einen Zähler vor Geschke lag. Der 36-Jährige kämpfte weiter hinten verzweifelt, um sich nicht vom heranbrausenden Feld einholen zu lassen. »An der letzten Bergwertung bin ich ein paar Tode gestorben«, beschrieb er später seine Leiden. Aber er hielt stand, holte noch zwei Bergpunkte – genau die Zahl, die er brauchte, um an Jungels in der Bergwertung wieder vorbeizuziehen. »Es war ein großes Ziel von mir, mal ein Wertungstrikot bei der Tour de France zu tragen. Jetzt bin ich glücklich, dass ich es erreicht habe und dass sich die Leiden gelohnt haben«, sagte Geschke.

Für Etappensiege hat er trotz eines lange nicht erreichten Formhochs offenbar nicht die Kräfte, um alle jüngeren Fahrer so in die Schranken zu weisen, wie ihm das bei seinem einzigen Tour-Etappensieg vor sieben Jahren mal gelungen war. Der für das französische Cofidis-Team fahrende Profi versucht es trotzdem weiter. Und er ist mittlerweile erfahren genug, auch einen Plan B im Hinterkopf zu behalten. Das Punktetrikot ist Beweis dafür. Dass Geschke es bis Paris tragen wird, hält er allerdings selbst für ziemlich unwahrscheinlich, die besonders viele Punkte bringenden höchsten Gipfel der Tour 2022 kommen schließlich alle erst noch.

Aktuell hat Geschke ohnehin eine ganz andere Sorge: »Ich will die nächste Etappe im Trikot genießen und hoffe, dass mir Covid keinen Strich durch die Rechnung macht«, sagte er am Ruhetag. Sein Teamkollege und Kapitän Guillaume Martin war am Tag zuvor wegen eines positiven Coronatests bereits vom Rennen abgezogen worden. Die Angst vorm eigenen Testergebnis ist daher aktuell größer als die vor den höchsten Bergen der Tour.

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