Gemengelage beim Gas

Es gibt Auwege aus der verfahrenen Versorgungslage

»Gasmangellage« – ein Begriff aus dem Behördensprech bereitet gerade vielen Menschen und einigen Unternehmen erhebliches Kopfzerbrechen: Ist in der Heizperiode genügend von dem fossilen Energieträger vorhanden und, wenn ja, auch zu bezahlbaren Preisen?

Die Beantwortung dieser Fragen ist seriös nicht möglich, da niemand über eine Glaskugel verfügt. Aber immerhin wird die Gegenwart quasi in Echtzeit von der Bundesnetzagentur abgebildet. Die Behörde betont seit Wochen, dass die Gasversorgung »im Moment stabil« und die Versorgungssicherheit »weiter gewährleistet« sei. Daran wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern, aber ob dies auch bis zum Ende des nächsten Winters so weitergeht, kann niemand garantieren.

Ebenfalls mit Gewissheit kann man Aussagen zur jüngeren Vergangenheit treffen: Es rächt sich jetzt bitter, dass die Politik bei der Energiewende den Wärmebereich außen vor ließ. Es werden munter weiter neue Gasheizungen installiert, sind Gaskraftwerke für Fernwärme im Bau. Auch in Teilen der Industrie ist Gas als Prozesswärme und als Grundstoff erste Wahl. Falsche staatliche Signale machten es trotz hoher Treibhausgasemissionen bis zuletzt preiswert und verfügbar.

Was im kommenden Winter davon übrig sein wird, hängt von der außenpolitischen Großwetterlage ab. Die EU-Politik hat gerade auf deutschen Druck hin den Gasbereich von Sanktionen ausgenommen, und Russland beteuert, Verträge erfüllen zu wollen. Man kann auch davon ausgehen, dass hinter den Kulissen gesprochen wird, nicht nur zwischen den beteiligten Unternehmen.

Daher muss man nicht vom Schlimmsten ausgehen – nämlich, dass Russland nach der Wartung der Pipeline Nord Stream 1 die Lieferungen nicht wieder aufnimmt oder im Winter die Mengen stark drosselt, womit die Preise sich sogar verdreifachen könnten. Panikmache, wie es manche Politiker und Kommentatoren aus unterschiedlichsten Gründen betreiben, ist fehl am Platze. Doch wie bei der Vorbereitung auf den Corona-Herbst geht es darum, auch für den unwahrscheinlichen Fall gewappnet zu sein. Deshalb werden seit Wochen fieberhaft die Speicher gefüllt – mit aktuell rund 65 Prozent steht man vergleichsweise gut da. Die Zielmarke für November lautet 90 Prozent, womit man gut über den Winter käme. Um diese zu schaffen, spielt aber der Verbrauch eine wesentliche Rolle: Je mehr jetzt schon gespart wird, desto mehr kann gespeichert werden. Die Industrie als größter Gasverbraucher hat wegen gestiegener Preise den Verbrauch um rund zehn Prozent gesenkt. Auch Privathaushalte machen sich Gedanken, wie sie einsparen können.

Vieles bleibt daher spekulativ – auch die politischen Maßnahmen, die diskutiert werden. Ein für alle bezahlbarer Preisdeckel könnte zu hohem Verbrauch bis hin zu Energieverschwendung verleiten, der in eine reale Knappheit am Ende des Winters führt. Preise nicht zu deckeln, könnte hingegen viele Menschen auch noch in der Mittelschicht in eine Überschuldung treiben. Irgendwo dazwischen könnte der richtige Weg liegen: eine nach Haushaltsgröße gestaffelte Gasmenge zum gedeckelten Preis, während der Mehrverbrauch dem Markt unterliegt.

Es fehlt aber an der Bereitschaft der Politik, über solche Dinge überhaupt zu diskutieren, während man Energiefirmen einen – wohl notwendigen – Schutzschirm aufspannt. Angesichts der Sorgen, im Winter in einer kalten Wohnung zu sitzen, ist die Forderung nach einem Sozialgipfel etwa durch Ursula Engelen-Kefer, Vizechefin des Sozialverbands Deutschland, mehr als berechtigt. Übrigens genauso wie nach einem Turbostart für eine Wärmewende, nach stärkerem Einsatz von Biogas und einem Sofortprogramm zum staatlich geförderten Energiesparen – mit Neueinstellung der Heizungsanlage, professioneller Energieberatung und einfachen technischen Hilfsmitteln wie elektronischen Thermostaten, effizienten Umwälzpumpen und wassersparenden Duschköpfen. Es gibt zwar derzeit keine Mangellage beim Gas, aber eine recht komplexe energetische, sozial- und klimapolitische Gemengelage.

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