Weibliche Militanz

Jeja nervt: Das unvollständige Abbrechen patriarchaler Vorrechte

  • Jeja Klein
  • Lesedauer: 3 Min.

Jeja nervt

Im Videospiel »The Last of Us II« streifen die jungen Frauen Ellie und Dina durch die im Nachgang einer Zombie-Apokalypse verwüsteten USA. Die beiden verfolgen nicht nur einen persönlichen Racheplan und legen sich mit Milizen und gruseligen Untoten an. Sie verlieben sich auch ineinander. Das Spiel ist getragen von Szenen ihrer verbalen und körperlichen Zärtlichkeit. Die aber wechseln mit solchen, in denen die Frauen nicht einfach für das Gute kämpfen, sondern auch in Tötungen verwickelt sind. In der Science-Fiction-Serie »The Expanse« mischt mit der Ingenieurin Naomi Nagata eine Frau im galaktischen Bürger*innenkrieg um Erde, Mars und Asteroidengürtel ganz vorne mit. Wie sie stehen auch die Kolleginnen Camina Drummer von einer klassenkämpferischen Untergrundarmee oder der Mars-Marine Roberta Draper allerlei ausgetauschte Faustschläge und Feuergefechte mit dem Sturmgewehr oder der Raumschiff-Bordkanone durch. Lassen sich Probleme mal nicht mit Gewalt lösen, sind es immer wieder die emotionalen Tiefen der Frauen, ihre Bindungsfähigkeit und Aufopferungsbereitschaft, die den Plot voranbringen. Und in den letzten »Star Wars«-Teilen rettet Rey die Galaxis mit einer im Franchise nie gesehenen Intimität mit ihrem Widersacher, aber eben auch per Lichtschwert und kriegerischem Temperament. Wer das nicht sehenswert findet, leidet vermutlich an einem gewissen Genderknacks.

Wenn es also sogar für den Krieg gilt, dann scheint kein Metier mehr sicher vor dem Abräumen patriarchaler Vorrechte. Die als Vorbilder dienenden Rollen fügen sich nahtlos in eine alte Forderung des Feminismus ein. Frauen sollen demnach stark sein, nicht mehr schwach. Diesem Imperativ konnte sich der Kapitalismus aufgrund seines produktiven Potenzials gar nicht entziehen. Stärke aber ist einer der überkommenen, zentralen Marker von Männlichkeit und damit der Geschlechterdifferenz schlechthin. Also alles feministisch und queer am Fortschritt? Jein.

Wie beim Feld von Produktion und Reproduktion führt die Diversifizierung der Frauen auf dem Feld der Lebensentwürfe und Emotionen zwar zu einer höheren Durchsetzungsfähigkeit. Das wahrt weibliche Interessen. Allerdings werden Frauen aber nun an Maßstäben gemessen, die mit Stärke und Durchsetzungsfähigkeit auch Männlichkeit noch immer als implizites Ideal davon setzt, was es ausmacht, ein Mensch zu sein. Im Kapitalismus läuft das auf die Konkurrenz nun aller gegen alle hinaus. Und: Solange die tradierten Vorstellungen davon, in welchem emotionalen Universum Männer existieren, auf der Stelle treten, führt der Weiblichkeitswandel vor allem zu mehr Belastung. Jetzt müssen eben nicht nur Sorge- und Lohnarbeiten gleichzeitig gemeistert werden. Mit dem nominal gestiegenen Familieneinkommen gehen auch mehr geleistete Lohnarbeitsstunden einher, aber keine größere Beteiligung am gesellschaftlichen Reichtum. Es braucht nun den Lohnarbeitstag mit zwei Einkommen, um sich zu leisten, was früheren Generationen mit nur einem zustand. Und dann müssen Töchter und Mütter am Abend auch noch zum Kickboxen fahren.

Die Gesellschaft verlangt von allen, stark zu sein, indem sie die Schwäche in sich ausmerzen – ein Vorgang, der unmöglich ist und unweigerlich auf Verleugnung und auf projektive Bekämpfung an denjenigen hinausläuft, die das Pech haben, ihre Unzulänglichkeit nicht gut verstecken zu können. Auch weibliche Solidarität läuft dann Gefahr, unterm Stolz auf die vermeintliche eigene Leistung begraben zu werden. Eine feministische und queere Intervention wäre also heute eher die Betonung von Schwäche: der Sinn dafür, was eigentlich alles nicht geht – auch wenn es ständig gemacht wird. Oder: Auf eine Weise zu lieben, Gefühle zu kultivieren, deren (auto-)destruktives Potenzial sich nicht in die Ordnung entweder produktiver Geschäftsamkeit oder reproduktiver Erholung einfügt.

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