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  • Sicherheitsbahnhof Südkreuz in Berlin

Alarm-App für Privilegierte

Ob wir uns am Bahnhof sicher fühlen, ist eine soziale Frage

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 2 Min.

Bahnhöfe können unheimlich sein: wenn ich nachts am fast leeren Gleis warte und dieser Typ ständig in meine Richtung schaut oder wenn eine sichtlich angetrunkene und krakeelende Männergruppe mir auf der Treppe entgegenkommt. Je stärker Menschen von unterschiedlichen Diskriminierungsformen betroffen sind, desto unsicherer sind auch öffentliche Orte für sie – und selbst wenn gerade keine tatsächliche Gefahr droht, bleibt die Alarmbereitschaft, die Anspannung, die Angst.

Erst mal super, wenn sich die Deutsche Bahn darüber Gedanken macht. Schließlich gehört es ja zur oft beschworenen Verkehrswende, dass Zugfahren auch abends und alleine für alle Menschen eine Option darstellt. Doch ich bin skeptisch, ob das »Innovationsprojekt« der Bahn und der Bundespolizei wirklich in diese Richtung zielt.

Eine App, die per Knopfdruck das Sicherheitspersonal herbeiruft, stellt nur für Menschen eine Lösung dar, die von Security-Mitarbeiter*innen und Polizist*innen keine Diskriminierung erwarten müssen. Wenn eine Schwarze Person beleidigt und bedroht wird, kann sie dann wirklich auf die Unterstützung der Bundespolizei hoffen, die gleichzeitig für Racial Profiling an den deutschen Außengrenzen bekannt ist? Wenn ein Obdachloser angegriffen wird, steht ihm dann tatsächlich dasselbe Sicherheitspersonal zur Seite, das Obdachlose aus Bahnstationen vertreibt? Ganz abgesehen davon, dass vor allem armutsbetroffene Menschen nicht unbedingt ein funktionstüchtiges Smartphone besitzen.

Im umgekehrten Fall könnte ein digitaler Hilferuf ohne Beschreibung der Situation dazu führen, dass vorschnell »unangenehmes« Verhalten gemeldet und dadurch kriminalisiert wird. Was die Mehrheitsgesellschaft als komisch oder gefährlich wahrnimmt, folgt schließlich auch diskriminierenden Stereotypen. Ein Mann telefoniert laut auf Arabisch, Umstehende haben wegen rassistischer Vorurteile Angst und schlagen Alarm. Wenn dann die Polizei anrückt, ist nur für die Sicherheit der ohnehin Sicheren gesorgt.

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