Uruguay setzt auf China statt auf Mercosur

Mitgliedstaaten und auch Gewerkschaften warnen vor weiterer Deindustrialisierung Lateinamerikas

  • Jürgen Vogt
  • Lesedauer: 4 Min.

»Uruguay wird sich die Möglichkeit eines Freihandelsabkommens mit China nicht nehmen lassen«, sagte Uruguays Präsident Luis Lacalle Pou beim Gipfeltreffen der Staatsoberhäupter der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur. »Wir wollen, dass alle Mitgliedstaaten des Mercosur daran teilnehmen, aber wenn nicht, machen wir es allein«, so Pou weiter am vergangenen Donnerstag.

Der rund 300 Millionen Einwohner*innen zählende Mercosur umfasst die Vollmitglieder Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay sowie sieben assoziierte südamerikanische Staaten aus der Region. Venezuela, einst Vollmitglied, ist seit 2016 suspendiert. Nach den Statuten dürfen Freihandelsverhandlungen nur als Gemeinschaft und nicht einzeln geführt werden, es sei denn, eine Zustimmung aller Vollmitgliedstaaten liegt vor. In Sachen Freihandel und China steht Lacalle Pou ohne das Einverständnis der anderen da.

Paraguays Präsident Mario Abdo Benítez gab zunächst den moderaten Gastgeber. Erst nach dem Gipfel wurde er deutlich: »Der Eintritt Chinas mit Vorzugszöllen ist ein Problem, das die gesamte Region beunruhigt, weil sie sehr wettbewerbsfähige Kosten haben und die Industrien sowohl von Paraguay als auch von Argentinien bedrohen können«, so Benítez.

Argentiniens Präsident Alberto Fernández versuchte gar eine Annäherung an Uruguay. »Wenn es die Möglichkeit für ein Abkommen mit China gibt, warum analysieren wir es nicht gemeinsam«, sagte er und warnte zugleich davor, »nach Einzellösungen zu suchen«. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro war nicht angereist und schickte stattdessen eine unverbindliche Videobotschaft. Trotz Abwesenheit konnte er sich mit seinem Vorschlag nach einer Liberalisierung der Außenzölle auf Importe aus Nicht-Mercosur-Staaten durchsetzen. So wird die Obergrenze des Einfuhrzolls von 14 auf zukünftig zehn Prozent gesenkt. Die neue Außenzollverordnung ist jedoch mit derart vielen Ausnahmen und Übergangsfristen gespickt, dass auch der protektionistisch ausgerichteten Regierung aus Buenos Aires eine Zustimmung leicht fiel.

Uruguays Vorhaben eines Freihandelsabkommens mit China ist alles andere als neu. Pou führt fort, was sein gemäßigt-linker Amtsvorgänger Tabaré Vázquez angestoßen hatte. Die dafür notwendige Flexibilisierung der Statuten wurde auf dem Gipfel aber weder diskutiert noch in der Abschlusserklärung erwähnt, weshalb Lacalle Pou seine Unterschrift unter dem Dokument verweigerte. Dabei sorgt er auch im eigenen Land für Kopfschütteln. »Wir wissen nichts und sie wollen uns nichts sagen«, beklagte sich der Vorsitzende der Handelskammer Uruguay-China in Montevideo, Gabriel Rozman.

Besorgnis herrscht auch bei den Gewerkschaften. »Das Problem geht tiefer, weil es die seit Jahren voranschreitende Deindustrialisierung Uruguays weiter vertiefen wird«, so Danilo Dárdano vom Gewerkschaftsdachverband PIT-CNT. Ganze Sektoren würden schließen, weil es unmöglich sei, mit China zu konkurrieren. »Sie werden uns schlicht liquidieren«, so Dárdano. Statt Freihandelsabkommen auszuhandeln, sollte der Mercosur gestärkt werden. »Für ein Auto beispielsweise können wir in Brasilien den Motor herstellen, in Argentinien die Karosserie und in Uruguay die Reifen«, so Dárdano.

Seit den Amtsantritten des konservativ-liberalen Präsidenten Luis Lacalle Pou in Uruguay und des linksgemäßigten Präsidenten Alberto Fernández in Argentinien hat sich der Richtungsstreit zwischen den zwei marktliberalen Mitgliedstaaten Uruguay und Brasilien und den beiden eher protektionistisch ausgerichteten Mitgliedern Argentinien und Paraguay stetig verschärft. Vor einem Jahr drohte wegen des angekündigten Alleingangs Uruguays kurzzeitig gar das Auseinanderbrechen der Gemeinschaft.

Der Gipfel am Donnerstag war hingegen von scheinbarer Harmonie geprägt, vor allem wegen der anstehenden Präsidentschaftswahlen in Brasilien. Zwar war es Zufall, dass Brasiliens Arbeiterpartei PT just am selben Tag den ehemaligen Präsidenten Lula da Silva zu ihrem Kandidaten ernannte. Doch sollte Lula die Wahl gewinnen, werden auch im Mercosur die Karten neu gemischt. Brasilien ist das wirtschaftliche Schwergewicht in der Gemeinschaft und Lula steht für eine Stärkung des Mercosur.

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