Schluss mit Klassenkampf

Die »Konzertierte Aktion« soll kaschieren, dass sich der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit verschärft

  • Daniel Behruzi
  • Lesedauer: 5 Min.
Beim ersten Treffen der "Konzertierten Aktion": DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi, BDA-Chef Rainer Dulger und Kanzler Olaf Scholz (v.l.n.r.)
Beim ersten Treffen der "Konzertierten Aktion": DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi, BDA-Chef Rainer Dulger und Kanzler Olaf Scholz (v.l.n.r.)

»Gemeinsam durch die Krise!« Dies war das Motto der IG Metall während der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09. Zum einen hieß das: Unternehmen und Beschäftigte sollten im bis dato dramatischsten Wirtschaftseinbruch der bundesrepublikanischen Geschichte zusammenstehen. Vor allem aber: Die Unternehmen sollten gemeinsam mit ihren Beschäftigten durch die Krise gehen, sie also nicht auf die Straße setzen. Letzteres gelang nur teilweise. Insbesondere befristet Beschäftigte und Leiharbeiter wurden zu Zehntausenden »abgemeldet«, ohne dass Betriebsräte oder Gewerkschaften das groß zum Thema machten. Bei den Stammbelegschaften der Großbetriebe hingegen gelang es durch Kurzarbeit und tarifliche Arbeitszeitverkürzung vielerorts, Massenentlassungen zu vermeiden. Das wurde zwar in erster Linie von den Beschäftigten bezahlt, viele waren aber froh, zumindest ihren Job behalten zu haben.

Vor allem für die deutschen Konzerne entpuppte sich diese »sozialpartnerschaftliche« Krisenbewältigung als großer Gewinn. Als es nach dem Einbruch überraschend rasant wieder bergauf ging, mussten sie nicht erst langwierig neues Personal suchen und schulen. Anders als die internationale Konkurrenz konnten sie die Produktion zumeist schnell wieder hochfahren. Ablesen ließ sich das an explodierenden Gewinnen.

Dabei war die »Sozialpartnerschaft« wenige Jahre zuvor eigentlich schon für beerdigt erklärt worden. Vor allem nach dem verlorenen IG-Metall-Streik im Osten 2003 und dem Bruch einheitlicher Tarifverträge im öffentlichen Dienst 2005 hatten die deutschen Eliten die Gewerkschaftsvertreter maximal noch am Katzentisch Platz nehmen lassen. Nach dem Finanzcrash – der für den Kapitalismus auch ein gewaltiges Legitimitätsproblem war – besann man sich um. Wohl auch als Belohnung für seine kooperative Rolle in der Krise durfte der damalige IG-Metall-Chef Berthold Huber im März 2010 seinen 60. Geburtstag mit einem Abendessen bei Angela Merkel im Kanzleramt feiern.

Nun ist erneut Krise – und auch Merkels Nachfolger Olaf Scholz (SPD) setzt auf die Einbindung der Gewerkschaftsspitzen. Dass er diese und die Unternehmerverbände erstmals Anfang Juli ausgerechnet unter der Überschrift »Konzertierte Aktion« ins Kanzleramt bat, soll wohl die große Bedeutung der Treffen unterstreichen. Auf Gewerkschaftsseite weckt der Titel allerdings eher ungute Erinnerungen. Denn die vom damaligen SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller 1967 angestoßene »Konzertierte Aktion« führte vor allem dazu, dass sich die Beschäftigtenorganisationen bei ihren Lohnforderungen mäßigten. Zehn Jahre hielten sie es in dem Bündnis aus, erst 1977 und dann endgültig ein Jahr später ließen sie es platzen.

Die Hoffnungen der Gewerkschaftsspitzen, durch die »Konzertierte Aktion« direkt in die politischen Entscheidungsprozesse eingebunden zu werden, erfüllten sich nicht. Zugleich führte die »moderate«, an den Empfehlungen der sogenannten Wirtschaftsweisen ausgerichtete Lohnpolitik ab 1969 zu einer Welle vermeintlich wilder, also nicht unter Kontrolle der Gewerkschaftsapparate stehender Arbeitskämpfe, die als »Septemberstreiks« in die Geschichte eingingen.

Auch heute bewegen sich die Gewerkschaften in einem Spannungsfeld, indem sie einerseits bei der »Konzertierten Aktion« mit Scholz und den Arbeitgebern an einem Tisch sitzen, andererseits es aber ihr Job ist, die Interessen der Arbeiter zu vertreten. So verwies kürzlich auch IG-Metall-Chef Jörg Hofmann in einem Interview mit der »Süddeutschen Zeitung« auf die Erfahrungen mit dem historischen Vorläufer: »Weil sich die Arbeitnehmer angesichts der hohen Inflation von den Gewerkschaften nicht mehr vertreten fühlten, kam es ab 1969 zu wilden Streiks. Als Reaktion forderten die IG Metall und andere Gewerkschaften zweistellige Lohnerhöhungen. Daran sehen Sie: Eine zu moderate Lohnpolitik ist falsch, weil das Pendel danach zu stark in die andere Richtung ausschlägt.« In der Neuauflage der »Konzertierten Aktion« solle daher nicht über Lohnpolitik gesprochen werden.

Zwar hoben zum Auftakttreffen Anfang Juli alle Seiten die große Bedeutung der Tarifautonomie, also der eigenständigen Aushandlung von Löhnen und Arbeitsbedingungen durch Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, hervor. Doch bereits im Vorfeld wurde die Idee lanciert, die Gewerkschaften könnten sich in den anstehenden Tarifrunden auf, womöglich steuer- und abgabenfreie, Einmalzahlungen beschränken. Die Botschaft ist also auch dieses Mal klar: Die Beschäftigten sollen auf dauerhafte Lohnerhöhungen verzichten, damit die Inflation nicht weiter steigt.

Wahrscheinlich hat Kanzler Scholz die »Konzertierte Aktion« nicht vor allem deshalb ausgerufen, um die Gewerkschaften zu Zugeständnissen zu bewegen. Sie ist vielmehr ein ideologisches Instrument, mit dem behauptet wird, Kapital und Arbeit hätten in der Krise dieselben Interessen. Entsprechend wortreich beschwor Scholz zum Auftakt den »Geist der Gemeinsamkeit« und sagte: »Wir werden als Land durch diese Krise nur gut durchkommen, wenn wir uns unterhaken, wenn wir uns gemeinsam auf Lösungen einigen.« Und noch einmal: »Wichtig ist mir die Botschaft: Wir stehen zusammen. Und wir wollen, dass alle Bürgerinnen und Bürger gut durch diese Zeit kommen. (…) Die Unternehmen genauso wie die Beschäftigten.« Schluss mit Klassenkampf, soll das heißen.

Gemeint ist allerdings nur eine Seite: die der Beschäftigten. Die Kapitalseite nutzt stattdessen die Krise, um soziale Errungenschaften zu attackieren. So zum Beispiel Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger, der die Deckelung der Sozialbeiträge, die »Dynamisierung« – sprich: Erhöhung – des Rentenalters und die »Reform« – sprich: den Abbau – der Sozialsysteme fordert. Oder der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Siegfried Russwurm, der, unterstützt vom ehemaligen SPD-Bundesarbeitsminister Sigmar Gabriel, längere Wochenarbeitszeiten verlangt.

Der Interessengegensatz zwischen Unternehmern und Beschäftigten ist in der Krise nämlich nicht aufgehoben. Ganz im Gegenteil: Der Verteilungskonflikt verschärft sich. Die »Konzertierte Aktion« dient dazu, das zu kaschieren. Die Gewerkschaften sollten dabei nicht mitmachen.

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