Energiewende auf Sardinien

Auf der zweitgrößten Insel Italiens starten Projekte zur Stromversorgung mit Wind und Sonne

  • Ramon Schack, Ussaramanna
  • Lesedauer: 7 Min.
Villanovaforru im Zentrum Sardiniens gehört zu dem Gemeindeverbund, der mit Hilfe einer Energiekooperative künftig seinen Strom selbst erzeugen will.
Villanovaforru im Zentrum Sardiniens gehört zu dem Gemeindeverbund, der mit Hilfe einer Energiekooperative künftig seinen Strom selbst erzeugen will.

Ussaramanna liegt tief im Inneren Sardiniens, weit entfernt von den touristischen Zentren der zweitgrößten Insel Italiens – und Europas. Nur selten verirren sich Touristen in diese Gegend. Der reizvolle Ort liegt verschlafen da, wirkt menschenleer an diesem heißen Tag Ende Juli. Sardiniens Jugend wandert ab, schon seit Jahrzehnten. Wer kein Auskommen im Tourismus findet oder eine höhere Ausbildung anstrebt, zieht aufs Festland, in die großen Städte Italiens – und kehrt vielleicht Jahre später zurück. Sicher ist das aber nicht. Abwanderung und die niedrigste Geburtenrate Italiens sorgen dafür, dass die Einwohnerzahlen der Insel stetig sinkt.

Vor dem Rathaus von Ussaramanna wird die Ruhe durch Stimmengewirr und Gelächter durchbrochen. Bürgermeister Marco Sideri, ein dynamisch wirkender Mittdreißiger, empfängt Gäste. Unter ihnen ist Louise Brierley-Ingham von der Firma Patagonia. Die Britin mit Wohnsitz in Amsterdam ist PR-Beraterin des international führenden Outdoor-Kleidungsherstellers mit Sitz in Kalifornien. Patagonia gibt sich umweltbewusst und unterstützt weltweit Projekte zur Eindämmung der Klimakrise. Auch hier in Ussaramanna fördert Patagonia ein Vorhaben im Zeichen der Umstellung auf Stromerzeugung mit erneuerbaren Energieträgern. Brierley-Ingham will sich über den Fortgang der Dinge auf Sardinien informieren.

Das 500-Einwohner-Dorf Ussaramanna gehört mit dem Nachbarort Villanovaforru zu einem Gemeindeprojekt, in dem das Konzept der Bürgerenergie umgesetzt wird. Mit dem Begriff wird ein System beschrieben, in dem eine Gruppe von Bürgern Strom aus regenerativen Energieträgern produziert und den Gewinn unter den Einwohnern der betreffenden Gemeinden verteilt. Etwa eine Million EU-Bürger beteiligen sich zurzeit an solchen Projekten. Experten gehen davon aus, dass diese Zahl der Teilhaber an lokalen Selbstversorgungsprojekten bis zum Jahr 2050 auf 260 Millionen anwachsen könnte– zumindest wenn diese Form der gemeinschaftlichen Stromerzeugung und -nutzung entsprechend gefördert würde. Unter dieser Voraussetzung könnten 45 Prozent der in der EU dann produzierten Elektrizität aus solchen Gemeinschaftsunternehmen kommen.

In den beiden kleinen Orten wird also ein Modell der Zukunft erprobt. Der Prozess beginnt mit der Gründung einer Kooperative durch die jeweilige Gemeinde. Diese lässt dann zum Beispiel Windgeneratoren und Solarpaneele installieren und garantiert den Mitgliedern der Kooperative einen Profit durch die Energiegewinnung, abhängig vom Verbrauch. Marco Sideri bittet auf die andere Straßenseite, zum Gemeindehaus. Der 37-Jährige zeigt auf das Dach des Gebäudes, die Blicke seiner Besucher folgen seinem ausgestreckten Finger. Jede Gemeinde baut eine Photovoltaik-Anlage, die Sonnenstrahlen in elektrische Energie umwandelt.

Sideri, der schon seit sieben Jahren im Amt ist, räumt ein, dass es unter den herrschenden Bedingungen schwierig ist, das Konzept der Bürgerenergie umzusetzen. Die Akzeptanz dafür in der Bevölkerung wachse aber langsam. Die Bemühungen zum Aufbau einer Energieerzeugungsgenossenschaft in den beiden Gemeinden könnten ein Leuchtturm für Europa sein. Die Pläne derer, die die Energiewende auf der sonnigen Insel vorantreiben möchte, sehen vor, dass Sardiniens Strom bis 2040 zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energieträgern gewonnen werden soll. Damit bewegt sie sich auf eine echte Dekarbonisierung zu – und damit in eine Richtung, die die EU-Politik insgesamt angesichts der sich abzeichnenden Energiekrise gerade wieder zu verlassen scheint.

Marco Sideri zeigt sich, darauf angesprochen, dennoch optimistisch: »Die Zukunft der Energie kann dezentral und in Bürgerhand sein.« Auch Louise Brierley-Ingham ist zuversichtlich: »Was Sie hier sehen, ist so etwas wie eine Initialzündung, um die Menschen in Europa zu motivieren, die Energiepolitik in die eigenen Hände zu nehmen.« Ihre Firma, so die Britin, unterstütze Maßnahmen, »die das Bewusstsein für die Problematik stärken«, und finanziere Workshops und Sommerschulen zum Thema Bürgerstrom und Energiewende mit.

Eine dieser Sommerschulen findet zeitgleich in Bauladu statt, rund 60 Kilometer nordwestlich von Ussaramanna in Richtung Westküste der Insel gelegen. Dort können dank des Sponsorings 40 junge Menschen aus allen Winkeln Italiens an den Fortbildungsveranstaltungen der Non-Profit-Organisation ReCommon teilnehmen. Sie engagiert sich für ökonomische Gerechtigkeit und Umweltschutz, kämpft aber insbesondere gegen umweltzerstörende Großprojekte in Italien, Europa und dem globalen Süden.

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»Sentieri in Transizione« (Wege im Übergang) – unter diesem Motto steht die Sommerschule, die nach 2021 zum zweiten Mal auf Sardinien stattfindet. »Es handelt sich um kollektive Wege, die beschritten werden müssen, um die Gesellschaft radikal umzuwandeln«, sagt Elena Gerebizza, die bei ReCommon für Energie und Infrastruktur zuständig ist. »Vor allem im Bereich Klimaschutz«, ergänzt sie, während sie immer wieder freundlich lächelnd und geduldig Diskussionen mit den anwesenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern moderiert.

Zwischen 18 und 30 Jahre jung sind die Menschen, die sich zur Mittagszeit am Buffet im Gemeindehaus von Bauladu versammelt haben. Es sind überwiegend Studentinnen und Studenten, einige haben ihren Abschluss auch schon in der Tasche. Viele stammen aus den urbanen und akademischen Milieus der großen Städte Italiens, so wie Luigi, der als Historiker auch schon Austauschsemester in Jena und Berlin absolvierte. Der 27-Jährige trägt ein traditionelles Hemd aus West-Afrika, was ihm andernorts eventuell den Vorwurf der kulturellen Aneignung einbringen würde.

Luigi strahlt, als er das Konzept von ReCommon erläutert: »Wir kommen hier nicht als Kolonisatoren, um den Einheimischen zu erklären, was sie zu tun und zu lassen haben, sondern um zu lernen, dadurch gemeinsame Wege zu entwickeln, um Nachhaltigkeit im Klima- und Umweltschutz und eine gewisse Unabhängigkeit zu erreichen.« Außerdem gehe es uns darum, »den demokratischen Raum neu zu definieren, flankiert von einer Graswurzel-Strategie.«

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen aus allen Fachbereichen. Naturwissenschaftler sind ebenso unter ihnen wie Geisteswissenschaftler. Im Idealfall, so die Idee der Sommerschule, sollen sie als Multiplikatoren wirken und weitere Bürgerstrom-Projekte in ihren Gemeinden initiieren. Paula, 22, Studentin der Sinologie und ebenfalls Teilnehmerin des Workshops, ergänzt: »Der Ort für unsere Sommerschule wurde nicht zufällig ausgewählt. Wir gehen hier auch der Frage nach, was man von Sardinien lernen kann.« Sie verweist auf Experten von den benachbarten spanisch-katalanischen Balearen, aus dem Baskenland sowie aus Mexiko, die während der Sommerschule Vorträge halten.

Alvaro Campos Celador ist einer von ihnen. Der erst 33-Jährige lehrt als Professor an der Universität des Baskenlandes und ist Spezialist in Wärmetechnik. »Sardinien eignet sich gut, um zu erforschen, wie die Stromversorgung auf Wind -und Solarenergie umgestellt werden kann und welche Wirkungen das hat«, sagt der Spanier. Er verweist darauf, dass mit ungefähr 25 Gigawatt installierter Leistung an Wind- und Solarenergie in Italien aktuell bereits mehr als 16 Prozent zur Stromerzeugung beitragen. »Hier auf Sardinien sind es sogar 30 Prozent der installierten Gesamtleistung. Allerdings wird das immer dann zum Problem, wenn diese Inselnetze vom gesamtitalienischen Netz abgekoppelt werden«, gibt Campos Celador zu bedenken.

Ein paar Tische weiter, etwas abseits vom Trubel, blättert Luca Manes, Medienbeauftragter von ReCommon, in Pier Paolo Pasolinis Roman »Petrolio«. Die Ermordung des Filmregisseurs, Dichters und politischen Publizisten 1975 beendete dessen jahrelange Arbeit an diesem seinem Hauptwerk, einem Sittenbild des fossilen Kapitalismus. Die Nichte des Künstlers veröffentlichte es 17 Jahre später posthum. »Pasolini hat in diesem Buch alles vorausgesehen, was kommen wird«, sagt Luca Manes: »Wenn es um die Monopolstellung der großen Konzerne geht, ob beim Erdöl wie in dem Buch oder der Energieversorgung: Das Thema bleibt aktuell.«

Sein Tischnachbar Giacomo Prennushi, der als Referent vor Ort ist, sagt, es komme bei Bürgerenergie-Projekten vor allem darauf an, die Gemeinschaft mit einzubeziehen und so Akzeptanz in der Bevölkerung zu schaffen. Würden die Regierungen Bürgerenergiekonzepte mit Stromerzeugung aus Erneuerbaren stärker unterstützen, würde das zur Schaffung lokaler Arbeitsplätze, sowie zu niedrigeren Energierechnungen führen, ist der Sprecher des Stromversorgers Ènostra überzeugt.

Ènostra ist die erste Energiegesellschaft Italiens, die zu 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien liefert. Sie gilt als Nonprofit-Unternehmen. Prennushi betont, die Firma arbeite, wenn möglich mit in der jeweiligen Gemeinde ansässigen Betrieben zusammen. Er hat lange für Enel, den größten Stromversorger Italiens, gearbeitet. Deshalb kennt er die Tricks von Konzernen dieses Kalibers, wenn es darum geht, Bürgerenergieprojekte zu torpedieren. »Schauen Sie doch auf die Politik hier bei uns in Italien. Anfangs vertrat die mitregierende Fünf-Sterne-Bewegung unser Anliegen mit Nachdruck. Doch auch bei ihr ist der Einfluss der Lobbyisten der großen Unternehmen gewachsen. Wir vertrauen hier kaum noch auf politische Parteien, sondern agieren nach dem Motto: Denke global, agiere lokal.« Prennushi betont, Ènostra arbeite, wenn möglich, mit in der jeweiligen Gemeinde ansässigen Firmen zusammen.

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