»Helle Panik« wegen neuer Pässe

Drei europäische Staaten erkennen neue vietnamesische Reisepässe nicht an

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.
Vietnamesische Pflegekräfte in der Ausbildung. Bild: dpa
Vietnamesische Pflegekräfte in der Ausbildung. Bild: dpa

Mit Deutschland, Spanien und Tschechien erkennen drei Schengen-Staaten keine neuen vietnamesischen Reisepässe an. Wer einen seit dem 1. Juli ausgestellten neuen Pass aus Vietnam hat, bekommt damit kein Visum für diese Staaten. Die anderen Schengen-Staaten sind angehalten, in ihre Visa den Zusatz »Gilt nicht für Deutschland, Spanien und Tschechien« zu drucken.

In Deutschland hat das auch Konsequenzen im Inland. Ausländer- und Meldebehörden sowie Standesämter verweigern Inhabern der neuen Pässe eine Anmeldung beim Bürgeramt und Eheschließungen. Auch der Aufenthaltstitel wird nicht mehr in die neuen Dokumente gestempelt. Die Berliner Senatsverwaltung für Inneres wartet nach eigenen Angaben auf eine Weisung des Bundesinnenministeriums, wie mit den neuen Dokumenten umzugehen sei.

Hintergrund: Vietnam stellt seit dem 1. Juli völlig neue Reisepässe aus. Statt einem grünen haben sie einen blauen Einband, die Seiten sind mit Landschaftsfotos dekoriert. In naher Zukunft soll in die Personaldokumente auch ein Chip nach chinesischem Vorbild eingebunden werden, der beispielsweise Bewegungs- und Gesundheitsdaten erfassen kann. Dieser Chip ist aber noch nicht fertig. Das Problem ist, dass Vietnam darauf verzichtet hat, den Geburtsort und das Geburtsland in den Pass zu schreiben, wie es internationaler Standard ist.

Für vietnamesische Behörden ergeben sich Geburtsort und -land aus einer neu eingeführten zwölfstelligen Personenkennzahl, in der auch andere persönliche Daten festgehalten werden. Um den Code zu entschlüsseln, werden sieben A-4-Seiten Tabellen benötigt. Für Bundespolizisten, die an Flughäfen einreisende Fluggäste aus mehr als 100 Staaten kontrollieren, ist das ebenso wenig praktikabel wie für Bürger- und Standesämter.

Warum muss der Geburtsort eigentlich in den Pass? Er dient dazu, die Identität des Inhabers festzustellen. Im Vietnamesischen gibt es nur sehr wenige Nachnamen. Auch viele Vornamen kommen oft vor, andere werden mit den gleichen lateinischen Buchstaben geschrieben, unterscheiden sich aber durch für Europäer schwer verständliche Sonderzeichen. Darum ist der Geburtsort ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal für Personen.

»Vietnam hat neue Reisepässe herausgegeben, ohne andere Staaten darüber mit angemessenem Vorlauf zu informieren«, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. So eine Vorabinformation sei aber international durchaus üblich. Anhand der neuen Pässe ist es dem Auswärtigen Amt zufolge nicht möglich, Personen eindeutig zu identifizieren, »insbesondere im Rahmen der bei der Einreise an den Schengen-Außengrenzen abzufragenden Register«.

Harald Söres, der Sprecher des Innenministeriums in Wien, sagte, dass auch in Österreich »ein diesbezügliches Prüfungsverfahren« laufe. »Auf europäischer Ebene wird zudem über eine gesamtheitliche Lösung beraten«, erklärte Söres. Noch erkennt Österreich die neuen Pässe aber an.

Am Dienstag forderte Vietnams Premierminister Pham Minh Chinh sein Innenministerium auf, eine schnelle Lösung zu finden. Innenminister To Lam wiegelte allerdings ab und erklärte die neuen Pässe für rechtssicher. Allerdings hieß es dann am Mittwoch aus Hanoi, der Geburtsort solle zusätzlich in den Pass geschrieben werden. Ob das nur auf Wunsch des Passinhabers in Form eines Stempels geschehen soll oder ob es völlig neue Pässe geben wird, war aus der Mitteilung nicht ersichtlich.

Die Nichtanerkennung vietnamesischer Reisepässe durch Deutschland hat gravierende Auswirkungen auf die ohnehin angespannte Personallage in der Pflegebranche. Denn bald beginnt das neue Ausbildungsjahr, und Deutschland erwartet viele neue Azubis aus Vietnam. Das sind meist sehr junge Leute, die noch nie einen Reisepass hatten und darum einen neu ausgestellten benötigen. Wenn er aber nicht anerkannt wird, darf der Azubi nicht einreisen. »Bei meinen Kunden herrscht helle Panik«, sagt ein Vietnamese aus Berlin, der Ausbildungswillige in Vietnam rekrutiert und an deutsche Firmen vermittelt.

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