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China lässt Muskeln spielen
Dem Besuch der US-Politikerin Pelosi in Taiwan folgen Militärübungen
Angesichts der Fähnchen schwenkenden Menschenmassen in Taipehs Innenstadt und dem zuweilen hysterischen Medienspektakel mutet Nancy Pelosis Taiwan-Besuch mitunter wie eine Polit-Show an. Doch zweifelsohne ist sie mehr als gekonnt inszeniert: In einer vor Pathos triefenden Rede im Präsidentenbüro sprach die 82-Jährige davon, dass die Welt derzeit vor der »Wahl zwischen Demokratie und Autokratie« stünde und dass die USA »immer auf der Seite Taiwans stehen« werden. Präsidentin Tsai Ing-Wen, eine Politikerin von eher nüchternem Gemüt, richtete zudem eine ernste Botschaft ans chinesische Festland: »Taiwan wird nicht klein beigeben. Wir werden tun, was immer notwendig ist, um unsere Selbstverteidigungsfähigkeiten zu stärken.«
Die Fotos der zwei Frauen, die seit Mittwochmorgen durch die Welt kursieren, besitzen tatsächlich eine große Strahlkraft: Sie zeigen zwei Spitzenpolitikerinnen, die der massiven Drohkulisse der Volksrepublik China trotzen.
Wenige Stunden besuchte Pelosi die sogenannte Jing-Mei-Gedenkstätte, wo der Opfer unter Taiwans einstiger Militärdiktatur gedacht wird. Dort traf sich die US-amerikanische Demokratin mit drei prominenten Menschenrechtsaktivisten, darunter Wuer Kaixi, einem der Anführer der Pekinger Studentenbewegung vom Tiananmen-Platz. Gemeinsam habe man darüber diskutiert, wie die Situation der Menschenrechte in China – insbesondere in der muslimisch geprägten Region Xinjiang – gefördert werden kann.
Die Regierung in Peking reagierte erzürnt – und ließ bereits erste Taten folgen. Die Volksbefreiungsarmee kündigte insgesamt sechs Militärübungen an, die noch bis Sonntag andauern. Die Truppen werden, das legen die per Xinhua verkündeten Ortskoordinaten nahe, nicht nur die Insel aus allen Himmelsrichtungen umzingeln, sondern der Küste Taiwans auf fast 16 Kilometern nahekommen – und auch in dessen territoriale Gewässer vordringen.
Die Militärübungen sind vor allem deshalb eine deutliche Eskalation, weil sie de facto eine militärische Blockade der Insel simulieren – eines der möglichen Szenarien, wie die chinesischen Streitkräfte Taiwan einnehmen könnten.
Neben den militärischen Maßnahmen ging jedoch am Mittwoch auch die wirtschaftliche Vergeltung Chinas weiter: Am Mittwoch kündigten die Zollbehörden der Volksrepublik an, die Einfuhr von Zitrusfrüchten aus Taiwan zu verbieten, weil diese in der Vergangenheit angeblich mehrfach Schädlingsrückstände aufgewiesen hätten. Zudem wurden die Importe von zwei taiwanischen Fischsorten gesperrt, da auf deren Verpackungen Corona-Viren nachgewiesen worden seien. Peking lässt offensichtlich seine ökonomischen Muskeln spielen.
Dass die wirtschaftliche Rache bisher vergleichsweise zahnlos ausfällt, hat vor allem damit zu tun, dass Taiwan als führende Halbleiter-Nation einen unschätzbaren Trumpf in der Hinterhand hat: Sollte nämlich der weltweite Marktführer »TSMC« keine Chips mehr ins chinesische Festland liefern, würde die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt dies empfindlich zu spüren bekommen.
Dennoch könnte sich Chinas Strategie der lautstarken Rhetorik durchaus als kontraproduktiv erweisen. Denn ironischerweise verleiht erst die immense chinesische Drohkulisse der Reise Pelosis ihre historische Dimension. Etliche Kommentatoren im chinesischen Netz merkten ironisch an: Hätten beide Seiten weniger Lärm gemacht, würde der Delegationsbesuch der US-Kongressführerin in Taiwan wohl nur einen Bruchteil des öffentlichen Interesses generieren. »Nehmt nächstes Mal den Mund nicht so voll«, lautet ein vielgeteiltes Posting auf der Online-Plattform Weibo.
Auch Hu Xijin, ehemaliger Chefredakteur der Parteizeitung »Global Times«, der vor wenigen Tagen noch über einen möglichen Abschuss von Pelosis Flugzeug spekuliert hatte, schreibt nunmehr kleinlaut: »Dass Pelosi tatsächlich gelandet ist, zeigt natürlich, dass unsere Abschreckung nicht genug war. Aber es wäre übertrieben zu denken, dass wir eine Niederlage oder gar eine nationale Schande erlitten hätten.« Tatsächlich habe die Auseinandersetzung mit den USA gerade erst begonnen, und sie sei dazu verdammt, »lang und ausdauernd« zu werden.
Die meisten europäischen Regierungsvertreter reagierten gegenüber den Spannungen rund um Taiwan bisher vor allem mit Schweigen. Eine Ausnahme bildete Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die während ihres Besuchs in New York eine deutliche Sprache wählte: »Wir akzeptieren nicht, wenn das internationale Recht gebrochen wird und ein größerer Nachbar völkerrechtswidrig seinen kleineren Nachbarn überfällt – und das gilt natürlich auch für China.«
Nancy Pelosi hat ihre Asien-Reise mittlerweile fortgesetzt und ist nach Südkorea weitergeflogen. Dort trifft sie einerseits auf einen engen Verbündeten der USA, der jedoch wirtschaftlich stark von der Volksrepublik China abhängig ist. Dementsprechend diplomatisch hat sich die dortige Regierung unter dem konservativen Präsidenten Yoon Suk Yeol in einer ersten Stellungnahme geäußert. Ein Sprecher in Seoul sagte dem öffentlich-rechtlichen Rundfunksender KBS, dass man mit allen beteiligten Staaten in engem Kontakt bleiben wolle, um »Frieden und Stabilität in der Region« zu erhalten.
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