Atemstillstand gegen rechts

Auch der Widerstand gegen den wirren Regierungskurs bei der Gasumlage könnte denunziert werden

Proteste gegen Energiepolitik: Atemstillstand gegen rechts

Man würde Olaf Scholz gerne mal fragen, welche Argumente in der Kabinettssitzung denn so diskutiert wurden, ehe man auf die Idee kam, die Mehrwertsteuer auf Gas von 19 auf sieben Prozent zu senken. Doch seit der gute Mann von massivem Gedächtnisschwund gepeinigt ist, erinnert er sich wohl selbst nicht mehr daran, was er beruflich so macht.

Wenige Tage, nachdem man eine Gasumlage beschlossen hat, die Energiesparen fördern soll, macht man das mit der Absenkung der Mehrwertsteuer de facto wieder rückgängig, indem man die Gaskosten wieder reduziert. Das ist unsozial, weil alle begünstigt werden, also auch die, die besonders viel Energie verschwenden, und die, die gar keine staatlichen Hilfen bräuchten, weil sie wohlhabend sind. Und man verzichtet wieder auf jede ökologische Lenkungswirkung. Wäre ich die Farbe grün, ich würde gegen die Partei gleichen Namens wegen missbräuchlicher Verwendung einer Farbe klagen. Wo die zehn Milliarden schließlich landen werden – man hat einen Verdacht. Die Worte des Kanzlers, er erwarte jetzt auch von den Konzernen, dass sie das so an die Verbraucher weitergeben, werden die Konzernbosse sicher vor Angst erzittern lassen, nachdem sie sich schon beim Tankrabatt die Taschen vollgemacht haben. Scholz´ Appell erinnert an Eltern, die ihre lärmenden Kinder im Café auffordern, doch bitte jetzt endlich aufzuhören, die Menschen am Nachbartisch mit Lebensmitteln zu bewerfen. Sonst? »Finden Mama und Papa das echt nicht gut.«

Zehn Milliarden Euro Mindereinnahmen bedeutet die Steuersenkung für den Staat. Zweieinhalb hat das dreimonatige Experiment mit dem Neun-Euro-Ticket gekostet, das Millionen von Menschen finanziell spürbar entlastet hat. Das fortzuführen, ist der Regierung indes zu teuer. Irgendeine Nachfolgeregelung soll es wohl geben. In eineinhalb Wochen müsste etwas Neues auf dem Tisch liegen. Wird es aber nicht, Parlamentsferien sind halt auch was Schönes.

Nun könnte man sich über all das lustig machen, wenn die Lage nicht so wäre, dass im schlimmsten Fall jeder zweite oder dritte Haushalt im kommenden Winter in existenzielle Nöte kommt. Es wäre also gar nicht so abwegig, man käme auf die Idee, gegen all das zu protestieren, vielleicht sogar – ein verwegener Gedanke für das Volk der gelösten Bahnsteigkarte – zu demonstrieren.

Doch ich fürchte, ich ahne, wie das dann hierzulande mehrheitlich kommentiert werden würde: Nachdem – fraglos in der Sache gerechtfertigt – Verfassungsschutz und einige investigative Medienformate darüber berichtet haben, dass (welch Wunder) auch die rechtspopulistische Szene die soziale Unwucht und die Sanktionspolitik nutzen will, um für ihre eigene Agenda zu trommeln, habe ich den Eindruck, dass die Erzählung sich bereits jetzt abzeichnet: So lange auch Rechte auf die Straße gehen, läuft jeder, der die Regierungspolitik kritisiert, Gefahr, als jemand denunziert zu werden, der gemeinsame Sache mit Rechten macht. Bestenfalls gilt er als Naivling, der der russischen Propaganda aufgesessen ist. Wut auf Regierungshandeln, so zumindest mein Eindruck, wird seit einigen Jahren gerne medial entpolitisiert und ins Lächerliche gezogen. Und zwar von einer Journalistengeneration, deren Eltern recht militant gegen AKWs und Nachrüstung protestiert haben. Erstmals aufgefallen ist mir das bei der Berichterstattung über die »Gelbwesten« in Frankreich, die in Deutschland interessanterweise häufig als rechtsoffene Bewegung dargestellt wurden, was mit der innerfranzösischen Wahrnehmung (und der Realität) nicht das Geringste zu tun hatte.

Als Bundesregierung wäre ich jedenfalls jeden Tag aus Neue heilfroh, dass es AfD und Konsorten gibt. Schließlich herrscht bis in linke Zeitungen und thüringische Staatskanzleien die Überzeugung vor, dass man sich besser selbst lähmt als auch nur eine Aktionsform zu wählen, von deren Existenz einige Milliarden Menschen wissen, aber eben auch die Rechten. Sollte irgendwann nachgewiesen werden, dass auch Querdenker atmen, würden viele Linke die Lungentätigkeit einstellen. Als vierminütige antifaschistische Aktion, selbstverständlich.

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