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  • Berlin
  • Legalisierung von Drogen

Entkriminalisierung kann Leben retten

Die akzeptierende Drogenarbeit begrüßt die politischen Vorstöße zur milderen Drogenpolitik

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein »Dealer-Paradies« im Görlitzer Park, »Lobbyarbeit für Dealer und die organisierte Kriminalität« – Schreckgespenster dieser Art malte der innenpolitische Sprecher der Berliner CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Frank Balzer, Mitte August an die Wand. Er empörte sich über den Vorstoß der Grünen-Fraktion, nicht nur die Verfolgung von Cannabisbesitz mildern, sondern auch für andere illegale Substanzen wie Amphetamine oder Opiate eine weniger strenge Strafverfolgung etablieren zu wollen.

Stand heute gilt in Berlin für Cannabis eine sogenannte Gemeinsame Allgemeinverfügung. Das bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen wegen eines Drogendeliktes einstellt, wenn maximal zehn Gramm Cannabis gefunden wurden. Bei bis zu 15 Gramm kann sie ebenfalls die Ermittlungen abbrechen, wenn keine Begleitumstände dagegen sprechen. Balzers Fachkollege von den Grünen, Vasili Franco, hatte vor der Hanfparade eine Ausweitung dieser Regelung gefordert: Um gar nicht erst die Polizei mit der Verfolgung von Marihuana-Konsument*innen zu beschäftigen, die ohnehin meist verfrüht beendet würde, sollte der Besitz von bis zu 15 Gramm daher legalisiert werden.

In einem weiteren Schritt schlug er die Erweiterung der Allgemeinverfügung auf andere Drogen wie Opiate und Amphetamine vor. »Die bisherige Verbotspolitik bei anderen Substanzen, die ja dennoch millionenfach konsumiert werden, war offensichtlich nicht erfolgreich«, erklärt er rückblickend gegenüber »nd«. Der Besitz von höchstens einem Gramm Heroin und drei Gramm Kokain oder Amphetaminen würde damit nicht mehr zwangsläufig zu einer Strafverfolgung führen.

Astrid Leicht ist Geschäftsführerin des Vereins Fixpunkt, der aufsuchende und mobile Arbeit für drogenabhängige Menschen leistet. Mit besonders niedrigschwelligen Angeboten wie der Verteilung von neuen Spritzen und anderweitiger medizinischer und sozialarbeiterischer Unterstützung erreicht der Verein Menschen, die teilweise seit Jahren illegale Substanzen konsumieren. Ziel sei dabei nicht, die Klient*innen in die Abstinenz zu bringen, erklärt Leicht »nd«. »Unser Ansatz ist nicht, moralisch oder belehrend mit Menschen zu arbeiten. Wir fokussieren uns nicht auf die Sucht, sondern auf die Bewältung der Lebensanforderungen«, beschreibt Leicht das Konzept der akzeptierenden und vorurteilsfreien Suchthilfe.

Sie begrüße jeden Schritt in Richtung Entkriminalisierung, denn: »Wir sind hauptsächlich damit beschäftigt, mit den Folgen der Kriminalisierung umzugehen.« Natürlich habe Drogenkonsum auch relevante gesundheitliche Folgen. Aber ein großes Risiko, sich mit HIV oder Hepatitis zu infizieren, käme nicht von der Droge selbst, sondern weil illegaler Gebrauch im Geheimen und die damit einhergehende Verelendung die notwendige hygienische Ausstattung erschwere.

Leicht zählt weitere Folgen der Kriminalisierung auf: »Der Schwarzmarkt, die horrenden Preise, das kann kein Mensch von einem normalen Gehalt finanzieren, also: Beschaffungskriminalität.« Letztere ist nach Leichts Erfahrung der Hauptgrund für Strafverfolgung. »Schwarzfahren, Diebstähle, da sammeln sich kleine Delikte an, die zusammen zu langjährigen Haftstrafen führen.«

Deshalb sieht Leicht in dem Vorstoß der Grünen nur einen kleinen Schritt. »Das ist ein formaler Akt, aber ändert nichts am repressiven System.« Auch bei einer ausgeweiteten Allgemeinverfügung müsste die Polizei schließlich weiterhin ermitteln. Es sei die Frage, ob dann tatsächlich mehr Verfahren eingestellt würden. Am Ende liege es immer noch in der Einschätzung der Staatsanwaltschaft – »und da kann es trotzdem sein, dass die verurteilte Person zu dicht an einer Schule dran oder es schon das dritte Mal war«, dass sie kontrolliert worden sei.

Den Vorwurf, mit einer entkriminalisierenden Politik Drogenkonsum zu fördern, wie er unter anderem von der CDU-Fraktion, aber auch aus Teilen der SPD zu hören war, lässt Leicht nicht gelten. »Es geht ja nicht um eine Verherrlichung, sondern um einen guten Umgang.« Richtige Prävention fände nicht über Stigmatisierung, sondern über sachliche und lebensnahe Aufklärung statt. »Stigmatisierung führt nur dazu, dass man nicht darüber spricht, die Eltern nicht informiert, in der Schule nicht darüber redet«, so Leicht.

In der Arbeit mit Konsument*innen hält sie ebenfalls einen respektvollen Umgang für entscheidend. »Manchmal ist die Sucht nur eines von vielen Problemen, dann gibt es keine Wohnung, keinen Aufenthaltsstatus. In der Drogenhilfe muss man akzeptieren, dass Abstinenz nicht alles löst.« Substitutionsangebote wie die rezeptpflichtige Methadon-Ausgabe seien deshalb elementar – aber leider noch zu hochschwellig, weil Menschen ohne Krankenversicherung durch das Raster fielen.

Ob die Gemeinsame Allgemeinverfügung erweitert wird, ist ohnehin unklar. Von der linksgeführten Justizverwaltung kam zwar Zustimmung, Innensenatorin Iris Spranger (SPD), mit ihrer Verwaltung ebenfalls an der Regelung beteiligt, distanzierte sich jedoch von dem Vorschlag.

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