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Coffee Cups

Kaffee ist pure Notwendigkeit

  • Olga Hohmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Kaffee: Coffee Cups

Das einzige Rauschmittel, das ich mir, trotz seines zunehmend schlechten Rufs, niemals versucht habe abzugewöhnen oder zu verbieten, ist Kaffee. Jeder Tag beginnt für mich mit einem dreifachen Espresso – ich brauche ihn, um überhaupt die Augen öffnen zu können. Ganz egal, ob ich um halb sieben aufstehe oder um zehn – immer befindet sich eine Art milchige Schicht vor meinem Sichtfeld, bis ich die ersten paar Schlucke des heißen, dunkelbraunen Zaubertranks zu mir genommen habe und die Welt sich plötzlich in ihrer beängstigenden und schönen Schärfe zeigt. Schon das Geräusch der brodelnden Mokka auf dem Gasherd und der verführerische Geruch des Getränks flößen mir von Weitem etwas Lebensenergie ein: Es funktioniert immer, egal ob ich überarbeitet, heartbroken oder verkatert bin (in der Kombination ohnehin mein »Normalzustand«).

Mein ganzer Tag strukturiert sich, auch nach dem ersten dreifachen Espresso, stark um die Momente herum, in denen ich Kaffee trinken »darf« – der erste Kaffee am Morgen wird dabei fast weniger bewusst zelebriert als die anderen: Er ist pures Benzin, das ich meinem Körper zuführe, um ihn überhaupt zu den rudimentalsten Bewegungsabläufen zu überreden. Trotzdem: Manchmal freue ich mich beim Ins-Bett-Gehen schon auf den ersten Kaffee, der, im besten Fall, acht Stunden später auf mich wartet. Und dann, später, auf den Espresso nach dem Mittagessen (statt Mittagsschlaf), den Cappuccino am Nachmittag, den Espresso zur Zigarette vor dem Ausgehen und den Verdauungs- beziehungsweise Ausnüchterungsespresso im Restaurant. Alle in der Qualität ihrer Wirkung maximal unterschiedlich – und maximal zuverlässig.

Weil der erste Kaffee am Tag also pure Notwendigkeit ist, ist der erste Kaffee, den ich bewusst als Getränk genießen kann, erst der zweite Kaffee am Tag – und es handelt sich dabei häufig um einen Coffee to go, den ich auf dem Weg zu einem meiner Jobs trinke.

Gerade Coffee to go hat einen besonders schlechten Ruf – nicht nur aus gesundheitlichen, sondern auch aus Nachhaltigkeitsgründen. Trotzdem: Für mich ist Coffee to go wirklich ein Big Deal und das Papier, das an dem Becher, aus dem ich trinke, verschwendet wird, mindestens so notwendig, wie Druckerpapier oder Klopapier.

Jahrelang hatte ich die klassischen europäischen Vorurteile gegen Coffee to go. Und wie bei so vielen Dingen der kulturellen Gegenwart musste ich erst verreisen – meinen gewohnten Kontext verlassen –, um mich mit ihnen vertraut zu machen. Obwohl die Phänomene selbst mich auch in meinem Berliner Leben schon jahrelang umgeben hatten, musste ich selbst meiner Umgebung fremd werden, um sie in meinem Alltag akzeptieren oder sogar wertschätzen zu können. Und wie bei so vielen Dingen, Konsumgütern und Konsumgewohnheiten musste ich nicht irgendwohin reisen, sondern an den Ort, an dem die meisten von ihnen zu Hause sind – und gleichzeitig keines davon. Der Ort, an dem alle Fakes real sind und alle Originale Fakes: New York City.

In New York lernte ich, Coffee to go zu trinken – eines der wenigen Konsumgüter, Genussmittel, die dort besonders erschwinglich sind, denn New Yorker*innen brauchen natürlich besonders viel Benzin für ihre überarbeiteten, unausgeschlafenen Venen. Der typische New Yorker Coffee-to-go-Becher ist weiß mit mittelblauem Aufdruck – oben ist eine Bordüre, die an griechischer Tempelarchitektur orientiert ist. An den Seiten sind jeweils zwei griechische Vasen abgebildet, darauf Atlas, der unter großer Anstrengung den Weltball auf seinem Rücken balanciert. Auf der Vorder- und Rückseite des Bechers sieht man jeweils zwei griechische Säulen und zwischen ihnen steht: »We are happy to serve you«.

Ich dachte spontan daran, dass »You have been served« ebenfalls bedeutet, dass man »vors Gericht geladen ist«: »Du bist bedient«. »We are happy to serve you« hat also einen leicht schadenfreudigen Charakter. Die Kioskbesitzer*innen empfinden Genugtuung dabei, einen mit schwarzem Filterkaffee zu vergiften. Denn: Nicht umsonst ist das englische »Gift« – das Geschenk – ja auch das deutsche »Gift«: »poison«. Und nicht umsonst greift der New Yorker Filterkaffee besonders aggressiv die Magenschleimhäute an – eine Nebenwirkung, die man, angesichts der beeindruckenden, fast medizinischen Wirkung des Getränks bei überzeugendem Preis-Leistungs-Verhältnis gerne in Kauf nimmt.

Auf einer Säule neben dem Eingang des Apollontempels in Delphi steht, prominent platziert, der Imperativ: »Erkenne dich selbst!« Weniger prominent die Aufschrift einer zweiten Säule an der hinteren Fassade des Apollontempels: »Nichts im Übermaß!«

Ich weiß nicht, was der Hintergrund der Entscheidung ist, den ikonischen New Yorker Coffee-to-go-Becher mit einer Grafik zu versehen, die sich auf das antike Griechenland bezieht (die »Wiege der europäischen Kultur«), aber ein Zufall ist es bestimmt nicht. Trotzdem: »Erkenne dich selbst!« und »Nichts im Übermaß!« – das könnten auch die zwei Faustregeln des gesunden Konsumverhaltens sein. Was auch immer das sein soll.

Und na ja – wie mein alter Freund Jan sagt:

What kind of tea (or coffee) can be hard to swallow?

Reality!

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