Vermietern droht Bankrott

Kommunale und genossenschaftliche Wohnungsunternehmen schlagen wegen hoher Gaspreise Alarm

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

In Wolfen wird die Lage ernst. In der Kleinstadt in Sachsen-Anhalt verlangt eine Wohnungsgenossenschaft gewöhnlich eine vergleichsweise niedrige Kaltmiete von monatlich unter 300 Euro für 60 Quadratmeter. Demnächst kommen allerdings monatliche Nebenkosten allein für Heizung und Warmwasser in Höhe von fast 750 Euro hinzu, rechnet der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) vor. In Wolfen haben sich nämlich die Preise für Fernwärme gegenüber Oktober 2020 um fast 400 Prozent erhöht. Die Fernwärme stammt aus einem Gaskraftwerk.

Insgesamt wird die Energiekrise in ganz Deutschland für Mieter und Vermieter langsam konkreter: 38 Prozent der »sozialen«, also der kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen, können laut einer neuen GdW-Umfrage die Gaspreissteigerungen nicht aus eigener Liquidität bewältigen und brauchen staatliche Hilfen. Besonders heikel ist die Situation in ländlich geprägten Regionen Ostdeutschlands, wo sich 47 Prozent der Wohnungsunternehmen in der Krise sehen: Sie verfügen nicht über die finanziellen Mittel für weitere Kostensprünge.

»Existenzbedrohend« kann die Situation nach Angaben des Verbandes für 22 Prozent der sozial orientierten Wohnungsunternehmen in ganz Deutschland werden – in Ostdeutschland sind 39 Prozent und in Sachsen-Anhalt sogar 53 Prozent der Wohnungsunternehmen existenziell bedroht. Diese Unternehmen könnten die Energiekosten nicht durch die Aufnahme zusätzlicher Kredite bewältigen und bräuchten daher staatliche Hilfen.

Axel Gedaschko schlägt nun Alarm. Der GdW vertritt rund 3000 Unternehmen, vor allem kommunale und genossenschaftliche, die nach eigenen Angaben sechs Millionen Wohnungen bewirtschaften, in denen über 13 Millionen Menschen leben. Das wäre bundesweit also jede dritte Mietwohnung. In vielen Regionen wird mit Heizkostensteigerungen um 200 bis 300 Prozent gerechnet. Für eine Durchschnittswohnung mit 60 Quadratmetern rechnet GdW-Chef Axel Gedaschko mit Jahreskosten bei den Energieversorgern, die teilweise über 1600 Euro liegen können. Das Problem aus Sicht der Wohnungswirtschaft: Die Unternehmen müssen in Vorleistung gehen. »Unter anderem kleinere Wohnungsgenossenschaften bringen diese Verdoppelungen und Verdreifachungen der Vorleistungen jetzt schon an den Rand der Insolvenz.«

Zeitverzögert kommen dann auf die Mieter Nebenkosten zu, die sich auf die Höhe einer kompletten zusätzlichen Monatsmiete summieren können – und wie in Wolfen teils deutlich mehr. »In dieser gefährlichen Krisensituation verstehen wir nicht die zögerliche Haltung der Regierung, die dazu führt, dass Bürger und Unternehmen verunsichert werden«, schimpft Gedaschko. Bislang habe die Ampelkoalition unter Kanzler Olaf Scholz lediglich kurzsichtig auf Instrumente mit Wirkung bis zum Jahresende verwiesen, was der Brisanz der Lage in keinster Weise gerecht werde. Es müssten jetzt unverzüglich Bürgschaften von staatlicher Seite auf den Weg gebracht werden, um die jetzt schon in ihrer Existenz bedrohten Wohnungsunternehmen zu retten.

Bei einem Gespräch Gedaschkos mit Rolf Bösinger, Staatssekretär im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, wurden kürzlich immerhin konkrete Lösungen »thematisiert«. Die geplante Wohngeldreform sei zwar richtig, meint Gedaschko, aber sie reiche angesichts der dramatischen Lage nicht aus. Was sei mit den vielen Menschen, die mit ihren Einkommen leicht über dem Wohngeldanspruch liegen? Die ab Oktober vorgesehene Erhebung der Gasbeschaffungs- und Speicherumlage sollte wenigstens zeitlich und in ihrer Höhe gestreckt werden, sodass die monatliche Belastung für Bestandsmieter deutlich sinkt.

Die Gaskrise bremst derweil auch die Neubauaktivitäten noch stärker aus. Schon ohne diese Probleme war das von der Bundesregierung ausgegebene Ziel von 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr weit verfehlt worden. 2021 wurden laut Statistischem Bundesamt gerade mal 293 393 Wohnungen fertiggestellt. Und nur wenige davon waren öffentlich geförderte Sozialwohnungen. Die Liquiditätsengpässe vieler Unternehmen aufgrund der Gaskrise treffen jetzt auf eine toxische Mischung aus Lieferengpässen, Preissteigerungen und Fachkräftemangel in der Bauwirtschaft. Dazu kommen verschärfte Bauvorschriften und unzureichende Förderung von Klimaschutzmaßnahmen. Gleichzeitig steigen die Zinsen, Kredite werden immer teurer. In der Folge werden viele Bauprojekte gestoppt oder auf Eis gelegt, weit über Wolfen und Sachsen-Anhalt hinaus. Auch hier wäre die Bundesregierung gefordert.

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