Die Ruhe vor dem nächsten Sturm

Die jüngsten Kämpfe in Libyen waren schnell vorbei, aber eine politische Lösung ist nicht in Sicht

  • Mirco Keilberth, Tunis
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Krieg dauerte 24 Stunden. Begonnen hatte er mit dem Angriff der »Revolutionären Wächter« des Milizenführers Haythem Tahouri auf eine regierungstreue Miliz. Schnell wurde die Zauwia-Straße im Zentrum von Tripolis zur Szene eines Kampfes um die Macht im ganzen Land. Anhänger der vom Parlament bestimmten Parallelregierung von Fathi Baschagha besetzten strategisch wichtige Kontrollpunkte westlich und südlich von Tripolis. Im Stadtteil Ain Zara und im Stadtzentrum wurden Wohnhäuser und zwei Einrichtungen des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen beschädigt.

Als schwarzer Rauch am Himmel über Tripolis aufstieg, suchten die mit Wochenendeinkäufen beschäftigten Familien Schutz in Cafés und Restaurants. Doch der Spuk war ebenso schnell vorbei, wie er scheinbar aus dem Nichts begonnen hatte. Die am Flughafen stationierte und bisher neutrale Rada-Miliz griff überraschend auf Seiten des seit Januar 2021 regierenden Abdelhamid Dbaibas in das Geschehen ein und wendete das Blatt zugunsten der Angegriffenen.

Die Hauptquartiere von Haytham Tajouri und der berüchtigten Nawasi-Gruppe wurden von Dbaiba-treuen Kämpfern gestürmt. Die aus der Hafenstadt Misrata und Zintan kommenden Anhänger von Baschagha wurden laut Augenzeugen mit Drohnen angegriffen und zogen sich zurück. Unklar ist bisher, ob es sich um Bayraktar-Drohnen der türkischen Armee handelte oder ob libysche Drohnenpiloten am Zurückschlagen des Angriffs beteiligt waren. Damit ist Fathi Baschagha und das ihn unterstützende ostlibysche Parlament das dritte Mal mit dem Versuch gescheitert, den Konkurrenten Dbaiba von der Macht zu vertreiben. Nach Behördenangaben kostete dieser Versuch 32 Menschen das Leben, 160 wurden verletzt.

Seit Februar beanspruchen beide Regierungschefs die Macht in dem ölreichen Land mit sechs Millionen Einwohnern. Der schwerreiche Geschäftsmann Abdelhamid Dbaiba war Ende 2020 von einer Wahlkommission in Genf unter Vermittlung der Uno für ein Jahr zum Übergangspremier ernannt worden. Doch die für Dezember vergangenen Jahres geplanten Wahlen wurden im letzten Moment abgesagt. Milizen in Ost- und Westlibyen drohten mit Gewalt, da mit Muammar Al-Gaddafis Sohn Saif Al-Islam, dem Warlord Khalifa Haftar und schließlich auch Dbaiba selbst für mindestens eine der beiden ehemaligen Kriegsparteien untragbare Kandidaten angetreten waren. Im Jahr zuvor war ein Angriff von Feldmarschall Khalifa Haftar auf Tripolis trotz russischer Militärhilfe gescheitert.

Dbaiba blieb entgegen seinem Versprechen gegenüber UN-Missions-Leiterin Stephanie Williams im Amt und gewann dank üppiger Geldzahlungen die Gunst des Kartells der Hauptstadtmilizen. Haftar und der Parlamentspräsident Agila Saleh nominierten im Januar den ehemaligen Innenminister Baschagha als Gegenpremier.

In der Bevölkerung steigt die Wut auf die Politik und die Milizen. Den Kämpfen seien Friedensgespräche vorausgegangen, behaupten sowohl Baschagha als auch Dbaiba. »Um ein Blutvergießen zu verhindern, habe ich schon vor längerer Zeit vorgeschlagen, Ende dieses Jahres Wahlen abzuhalten«, so Dbaiba. Ein Regierungssprecher sagte, die dritte Verhandlungsrunde hätte am Freitag in der Hafenstadt Misrata stattfinden sollen. »Doch Baschaghas Verhandlungsteam hat das Treffen im letzten Moment abgesagt«, so Regierungssprecher Mohamed Hamouda. Dbaiba versprach, die vielen zivilen Opfer und Besitzer der zerstörten Häuser zu entschädigen. »Nun müssen die libyschen Politiker wieder den vereinbarten Weg zu Wahlen und einer legitimen und vereinten Regierung beschreiten«, so der US-Botschafter Richard B. Norland.

Nach Russlands Angriff auf die Ukraine droht die internationale Einmischung den ruhenden libyschen Bürgerkrieg wieder zu entfachen. Während das Parlament, Baschagha und Haftar auf russische und ägyptische Unterstützung setzen, zählen Dbaiba und die westlibyschen Gruppen auf die Türkei sowie auf westliche Waffen und Legitimierung.

Alle libyschen politischen Akteure handeln ohne legitimes Mandat. Die Amtszeit des Parlaments ist bereits 2016 abgelaufen, doch aufgrund der Kriege um Bengasi und Tripolis fielen Neuwahlen immer wieder aus. Und so verlängerte das Parlament mehrmals seine Amtszeit und versah sich gleich auch noch mit einer lebenslangen Immunität. Viele Libyer wollen hingegen Neuwahlen.

In Ain Zara, vor einem zerstörten Gebäude, stand nach den Kämpfen eine Gruppe von Aktivisten, die auf selbstgeschriebenen Pappschildern ein Ende der Gewalt und Neuwahlen forderten. »2,9 Millionen Wähler waren im Dezember registriert, mehr als 5000 Kandidaten haben sich bei der Wahlbehörde HNEC registriert«, sagt ein Teilnehmer. »Wir können das Geschacher um die Macht nur mit Wahlen beenden.«

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